: Prompte Räumung
Aus Mutlangen Janni Weinke
Am Morgen des BVG–Urteils befinden sich nur wenige Leute auf dem Gelände der Pressehütte in Mutlangen. Viele sind nach Karlsruhe gegangen, um vor Ort den Richterspruch abzuwarten. Gerade noch zehn Leute bleiben, um die Observierung des Raketenlagers aufrechtzuerhalten. Von dem Urteil erwartet sich sowieso niemand etwas. Dafür wartete die Staatsgewalt mit einer Überraschung auf: Kurz vor acht ruft der Rechtsanwalt der Pressehütte an. Er hat soeben eine Vollstreckungsverfügung erhalten, nach der die Zelte auf dem Gelände des Vereins Friedens– und Begegnungsstätte Mutlangen jederzeit geräumt werden sollen. Eine knappe Stunde später rückt auch schon die Polizei an. Etwa 50 Uniformierte eskortieren einen Trupp von einem Dutzend Bauarbeiter. Dazu kommt noch eine ganze Anzahl von Kripo und Landratsamtsbeamten. Die Bauarbeiter sind Beschäftigte der Mutlanger Firma Kinderberger, die ansonsten auch Arbeiten im Raketendepot ausführen. Der Chef der Firma ist Gemeinderat in Mutlangen und einer der Scharfmacher gegen „Chaoten von der Pressehütte“. Nun wird auch den Leuten in der Pressehütte die Vollstreckungsverfügung präsentiert, in der ihnen empfohlen wird, Wertsachen aus dem Feld zu entfernen, da jederzeit mit einer Räumung des Feldes zu rechnen sei. Fünf Minuten später legen die Bauarbeiter Hand an das erste Feld, sorgsam begleitet von einem SoKo–Trupp der Polizei, der das Ganze auf Video bannt. Machtlos, mit Wut im Bauch, müssen die Rüstungsgegner zuschauen, wie ein Feld nach dem anderen auseinandergenommen wird. Vereinzelte Versuche, mit den Bauarbeitern oder Polizisten ins Gespräch zu kommen, scheitern am Unverständnis. „Was würdest Du machen, wenn sie Dir Dein Zelt aufbrechen würden, wenn sie Dir Deinen Schlafplatz nehmen würden?“ - Achselzucken, teils überheblich, teils eher peinlich berührt. Ganz langsam setzt sich in den Köpfen fest, daß der Räumungstermin wohl kaum zufällig festgesetzt worden sein kann. Die Parallelität zu dem BVG–Spruch ist nahezu augenfällig. Zwei Interpretationen schwirren durch den Raum: Die einen meinen, daß dieses ein groß angelegter Angriff auf die Friedensbewegung darstellt. Die anderen glauben, daß durch den koordinierten Termin Aufsehen vermieden werden soll. „Alles starrt noch nach Karlsruhe, da fällt die Räumung des Zeltplatzes gar nicht weiter ins Gewicht.“ Als um elf Uhr dann die Nachricht von dem Richterspruch durchs Radio kommt, sind die Bauarbeiter gerade am letzten der zehn Zelte angekommen. Die Kriminalpolizei bestaunt einen konspirativen Fund: einige olivgrüne Täfelchen, von denen zwar niemand weiß, was sie bedeuten, aber der Ahlener Polizeichef Rapp vermutet, „das ist militärisches Natomaterial“. Vorsichtshalber wird alles in eine Mülltüte gepackt und beschlagnahmt. Unsicher ist man sich nur darüber, wie man mit zwei ebenfalls olivgrünen Feldheringen verfahren soll. Letzten Endes bleiben sie der Presse als Andenken. Die Rüstungsgegner bekommen von diesem Vorgang kaum mehr etwas mit. Seit der Richterspruch bekannt ist, sind sie von verschiedenen Medienvertretern in Beschlag genommen worden. Die große Frage: „Wie gehts in Mutlangen weiter? Wohl so wie bisher“. Wir bleiben, solange die Todesdrohung in Mutlangen stationiert ist, ebenfalls hier. Wir wurden bisher schon kriminalisiert und werden auch weiterhin mit der Strafandrohung leben. Das Leben wird allerdings ohne die Zelte noch härter. Besser haben es schon die Hunde in der Pressehütte. Eine Hundehütte blieb stehen, daß die zweite im Eifer des Gefechts mit abgebaut wurde, bedauerte Polizeichef Rapp zutiefst.
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