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Prof. Hess gedacht

■ Kinderklinik bekam Dokumente ihres langjährigen Leiters / In der Nazizeit verfolgt

„Rudolf Hess. Wer zu diesem Arzt geht, ist ein Verräter an Volk und Vaterland!“ Mit diesem Plakat hatte das Nazi-Propagandablatt „Der Stürmer“ zu einem Boykott des bekannten Bremer Kinderarztes und Gründers der inzwischen nach ihm benannten „Prof.-Hess-Kinderklinik“ im Zentralkrankenhaus St.-Jürgen-Straße aufgerufen. Die Zeitungsseite gehört zu den zahlreichen privaten Dokumenten, die die Tochter vor Rudolf Hess, Anneliese Marris, gestern dem Krankenhaus zur Archivierung übergeben hat.

Als Rudolf Hess 1928 die Leitung der Bremer Kinderklinik übernommen hatte, fand er unhaltbare Zustände vor. Jede Krankheit mußte in einer anderen Spezialklinik behandelt werden, eine übergreifende Betreuung der Kinder gab es nicht. Die von Hess erarbeitete Planung einer neuen integrierten Kinderklinik auf dem Gelände des Zentralkrankenhauses St.-Jürgen-Straße wurde erst 1937 mit der Fertigstellung des Haupthauses umgesetzt. Zu diesem Zeitpunkt war Hess selber schon längst von den Nazis aus seinem Amt gedrängt worden.

Da die Mutter von Rudolf Hess jüdischer Abstammung war, fiel er unter die NS-Rassengesetze. Schon 1933 mußte er seine Klinik verlassen. In den Jahren danach wurde er von der Gestapo verfolgt und schikaniert. Nur knapp entging er der Ermordung im Konzentrationslager Theresienstadt; Freunde hatten ihn und seine Familie versteckt.

Ab 1945 übernahm Hess wieder die Leitung der Bremer Kinderklinik. In den ersten Nachkriegsjahren kam es durch die verbreiteten Infektionskrankheiten zu einer dramatischen Überbelegung: In dem für 180 Kinder geplanten Haus mußten über 300 Kinder untergebracht werden. Nach vielen Verzögerungen konnte die von Hess geplante neue Infektionsabteilung im Frühjahr 1956 in Betrieb gehen. Zwei Jahre vorher war Hess in den Ruhestand verabschiedet worden. Er starb 1962. Ase

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