: Problembereiche des Schlichtungswesens
■ Das Zünglein an der Waage / Schlichtung und Kampfmaßnahmen
DER ROTE FADEN
Teil 14
Im letzten Teil der Serie wurde erläutert, warum es in der BRD und nun auch in der DDR kein Gesetz über die Schlichtung von Tarifkonflikten gibt. Das Geschehen von einem Arbeitskampf, wie die tariflichen Regelungen selbst, unterliegen der autonomen Gestaltung durch die Tarifparteien selbst. Derzeit sind rund 270 Schlichtungsabkommen gültig. Als Beispiel für die folgenden Ausführungen gilt die Schieds - und Schlichtungsordnung der Druckindustrie (vergleiche Dokument taz vom Montag, 14. August d. Red.)
1. Schieds- und Schlichtungsverfahren. Das Schlichtungsverfahren dient der Vermittlung in einem Interessenkonflikt. In bestimmten Rechtsstreitigkeiten hingegen kann durch Tarifvertrag ein Schiedsverfahren vereinbart werden, in dem ein Schiedsgericht an die Stelle des staatlichen Gerichts tritt.
Zulässig ist dies nach bundesrepublikanischem Recht meist nur in Streitigkeiten zwischen Tarifvertragparteien (§ 2 des Dokuments). Hier bestätigt sich die Tarifautonomie: Die Tarifvertragparteien können die Auslegung der von ihnen abgeschlossenen Tarifverträge sogar der staatlichen Gerichtsbarkeit entziehen und einem von ihnen gebildeten Schiedsgericht übertragen. Auf Schiedsverfahren wird hier nicht eingegangen, weil sie mit Arbeitskampf nicht notwendig zu tun haben.
2. Einlassungszwang. § 1 Nr. 2 des Dokuments begründet die Verpflichtung der Tarifvertragsparteien, sich auf das Schlichtungsverfahren einzulassen (daß heißt mit dem Ziel der Vermeidung des Arbeitskampfes daran mitzuwirken), falls die andere Seite ein solches Verfahren - etwa unter den § 7 Nr. 2 und 3 geschilderten Umständen - beantragt. Ein solcher Einlassungszwang kommt in den meisten Schlichtungsabkommen vor. Wichtigster Ausnahmefall ist die Metallindustrie, wo er ausgeschlossen ist.
3. Zusammenhang, Vorsitz. Die Führung des Schiedsverfahrens liegt bei einer Schlichtungskommission (in unserem Dokument heißt sie das Zentrale Schiedsgericht). Diese besteht immer aus gleich vielen Vertretern beider Parteien. Meist tritt - wie in §§ 3 und 6 unseres Dokuments
-ein unparteiischer Vorsitzender hinzu. Wie dieser - das Zünglein an der Waage! - benannt wird, ist besonders kontrovers und darum in den geltenden Schlichtungsabkommen sehr vielgestaltig geregelt: durch Einigung, durch Los, durch Gerichts- oder Behördenentscheid. In der chemischen Industrie wird auf einen Unparteiischen ganz verzichtet dort bestehen rein paritätische Schlichtungsstellen.
4. Frist. Die Schlichtung findet meist in Situationen statt, in denen die Verbände ihre Mitglieder für eine mögliche Kampfmaßnahme aktiviert haben. Diese Aktivierung kann nicht beliebig aufrechterhalten und „verlängert“ werden. Die meisten Schlichtungsabkommen setzen Fristen für eine zügige Durchführung der Schlichtung, um im Falle des Scheiterns den Weg für den Arbeitskampf freizugeben. Hieraus erklärt sich die Kürze der Anrufungs- und Zusammentrittsfrist in § 7 Nr. 3 und § 8 Nr. 1 und 2 unseres Domkuments. Andere Schlichtungsabkommen setzen feste Fristen, innerhalb derer die Schlichtung abgeschlossen sein muß.
5. Wirkung des Schlichgungsspruches. Wichtig ist die rechtliche Bedeutung eines Schlichtungsspruches. In unserem Dokument (§ 8 Nr. 3) tritt die Wirkung eines Tarifvertrages nur unter sehr engen Bedingungen ein: bei Einstimmigkeit, im Falle einer Vorabunterwerfung beider Seiten oder bei nachträglicher Annahme. Ähnlich enge Bedingungen finden sich in den meisten Schlichtungsabkommen. Dies grenzt die freiwillige Schlichtung am deutlichsten von der Zwangsschlichtung ab und kennzeichnet sie als Hilfsinstrument der Tarifautonomie.
6. Friedenspflicht. Einer der heikelsten Punkte im Schlichtungsrecht ist das Verhältnis zur tarifvertraglichen Friedenspflicht. Muß die Schlichtung beendet sein, ehe Kampfmaßnahmen geführt werden dürfen? Da vornehmlich Gewerkschaften auf die Aktivierung ihrer Mitglieder - und damit auf Zügigkeit - angewiesen sind, haben sie immer auf eine Abkürzung der Friedenspflicht Wert gelegt. Sie sind gebrannte Kinder: In einem bis heute umstrittenen Urteil legte das Bundesarbeitsgericht 1958 fest, nicht nur daß vor Beendigung der Schlichtung jede Kampfmaßnahme ein Verstoß gegen die tarifliche Friedenspflicht sei, sondern auch daß bereits die gewerkschaftliche Urabstimmung eine solche Kampfmaßnahme darstelle.
Hieraus erklärt sich eine wichtige Bestimmung des abgedruckten Dokuments. § 7 Abs. 4 läßt die Friedenspflicht automatisch spätestens einen Monat nach Ablauf des Tarifvertrages enden. Dies koppelt die Dauer der Friedenspflicht von der Dauer der Schlichtung ab und gibt der Gewerkschaft nach vier Wochen freie Hand. Noch weitergehend trägt die Schlichtungsordnung für die Metallindustrie dem Urteil von 1958 Rechnung. § 3 Abs. 1 lautet: „Die Tarifvertragsparteien sind verpflichtet, nach Ablauf eines Tarifvertrages während einer Frist von vier Wochen aus ihren Forderungen in diesen Tarifverhandlungen nicht zu streiken oder auszusperren.“ Hier wird nicht nur gleichfalls die Friedenspflicht auf vier Wochen begrenzt. Vielmehr wird zugleich der Begriff der Kampfmaßnahme auf Streik und Aussperrung begrenzt: Die Durchführung einer Urabstimmung bliebe also auch innerhalb der 4-Wochen-Frist zulässig.
An diesen Beispielen wird die tarifvertragliche Gestaltbarkeit der Friedenspflicht - die sich ja aus dem schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrages ergibt - deutlich. Darin kommt erneut das Gewicht der Tarifautonomie zum Ausdruck.
Ulrich Mückenberger
Der Autor ist Professor für Arbeitsrecht in Hamburg.
Die ersten zehn Teile der Serie können gegen DM 4, bestellt werden bei: taz Archiv, z. Hd. Randy Kaufmann, Kochstr. 18, 1 Berlin 62.
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