Pro und Contra Olympia: Braucht Berlin olympische Spiele?
30 Jahre nach der letzten gescheiterten Bewerbung will Berlin erneut seinen Hut für Olympia in den Ring werfen. Doch ist das eine gute Idee?
Ja
Olympische Spiele in der eigenen Stadt, kurz: Olympia, auch wenn das bloß der namensgebende antike Austragungsort ist? Natürlich. Was sonst?
Wer selbst in Wettkämpfen rennt, rudert, turnt, kann endlich diejenigen sehen, die das, allem eigenen Training zum Trotz, um so vieles besser, schneller, eleganter können. Denn längst nicht nur aktive Leichtathleten haben 2009 bei der Weltmeisterschaft das Olympiastadion gefüllt und sich dort von Usain Bolts Sprintrekorden begeistern lassen. Die Vorstellung, 2036 oder 2040 auch die Bolts aller anderen olympischen Sportarten in der eigenen Stadt zu haben, ist einfach faszinierend.
Man kann das als naive Sportbegeisterung abtun, die teuer zu bezahlen und mit irreparablen Eingriffen in die Natur verbunden ist. Das war tatsächlich in der Vergangenheit manches Mal so. Und es war und ist ein Grund dafür, warum in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur in Deutschland, sondern in vielen westlichen Demokratien die Skepsis gegenüber Bewerbungen wuchs und zu Ablehnung wurde.
Das führte dazu, dass selbst Olympische Winterspiele an Peking vergeben wurden. Was dann wiederum für viel Kritik sorgte. „Wenn wir wollen, dass die Spiele in stabilen Demokratien stattfinden, dann müssen sich diese Länder auch bewerben“, sagte Berlins Regierungschef Kai Wegner am Dienstag – zu Recht.
Auch das Argument des Gigantismus zieht nicht mehr: Nachhaltigkeit ist fester Bestandteil der Bewerbung. Es sind ja auch schon alle Sportstätten da, die lediglich zu sanieren sind. Was aber mit Blick auf das Olympiastadion – das glücklicherweise nicht zu einem reinen Fußballstadion geworden ist – auch schon für die Fußball-Europameisterschaft nächstes Jahr passiert.
Und die Wirtschaftlichkeit? Für die Special Olympics jüngst in Berlin, für die Fußball-EM, für die Spiele im nächsten Jahr in Paris, gibt es laut Senat Berechnungen und Prognosen, laut denen der Austragungsort davon immens profitiert. Neben aller sportlichen Begeisterung, die der Kern einer Bewerbung sein muss, wären die Spiele tatsächlich jene „Riesenchance für die Stadt“, von der Wegner am Dienstag sprach.
Von dieser Begeisterung ist grundsätzlich auszugehen: Sie war bei den Mehrfach-Europameisterschaften 2022 in München zu erleben, genauso wie bei den Finals in Berlin oder den Special Olympics. Und sie ist in Berlin jedes Wochenende zu erleben, wo vor vielen, vielen tausend Zuschauern oft vor vollen Häusern Fußball oder Volleyball gespielt wird.
Kurzum: toller Sport und wirtschaftlicher Gewinn für die Stadt bei mininalem neuen Eingriff in die Natur. Bleibt der schon mehrfach geäußerte Einwand, dass die Spiele in Berlin 2036 genau 100 Jahre nach den Nazi-Spielen an gleicher Stelle stattfinden würden. Dabei ist das umso mehr ein Anlass, sich gerade für jenes Jahr zu bewerben: Um selbst dem Letzten zu zeigen, der es bisher nicht glaubt, dass Berlin es anders kann als 1936. Stefan Alberti
Nein
„We will wait for you“, steht auf einem Pflasterstein in der Hand eines vermummten Punks – Gerichtet ist die eindeutige Video-Botschaft an die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), die sich folgerichtig dann auch gegen Berlin als Austragungsort der Olympischen Spiele entscheiden.
Das war vor 30 Jahren. Heute sind die Olympia-Gegner*innen nicht mehr so militant wie 1993. Leider. Denn die Argumente von damals gelten heute umso mehr: Die stets klamme Hauptstadt kann sich diese Milliarden-Euro teure Prestigeveranstaltung einfach nicht leisten. Und sollte es auch gar nicht wollen. Denn bei der Frage, wer von diesem nationalistischen Massenspektakel 100 Jahre nach den Nazi-Festspielen von 1936 überhaupt profitiert, fällt die Bilanz für Berlins Bevölkerung überhaupt nicht gut aus: Während der für Untreue, Vetternwirtschaft und Korruption berühmt-berüchtigte IOC eine Gewinngarantie hat und riesige steuerfreie Profite erhält, ohne jegliche finanzielle Haftung übernehmen zu müssen, bedeutet Olympia für die Steuerzahler*innen vor allem hohe Kosten mit zweifelhaftem Nutzen.
Zum einen zeigen die laufenden Haushaltsverhandlungen deutlich, dass die zweistelligen Milliarden-Beträge, die die Wettkämpfe voraussichtlich kosten werden, an anderer Stelle mehr als dringend gebraucht werden: Die soziale Arbeit steht kurz vor dem Kollaps, die Pflege ist längst selbst ein Pflegefall, Schulgebäude verfallen zunehmend, an allen Ecken und Enden fehlt es an Personal. Und selbst beim Sport selbst, der vermeintlich von dem Spektakel profitiert, landet das Geld nicht dort, wo es gebraucht wird: Die kleinen, wenig prestigeträchtigen Sportstätten oder Schwimmbäder werden auch mit Olympia weiter verfallen, während der Spitzensport ordentlich gepampert und die Kommerzialisierung im Sport weiter vorangetrieben wird.
Was geht mich das an?, mag sich die eine oder der andere Sportmuffel fragen. Nun, spätestens wenn die Preise allenthalben steigen und die Mieten noch weiter in die Höhe schießen, dürfte auch dem und der Letzten klar sein, dass Olympia in der Hauptstadt des Mietenwahnsinns keine gute Idee ist.
Doch dann wird es zu spät sein. Das Geld schon in den Taschen von IOC-Funktionär*innen und der versprochene Profit für Berlin auf dem Konto von Hotelbesitzer*innen, Airbnb-Anbieter*innen und Bierbike-Betreiber*innen. Aus Angst, dass die Berliner*innen sich von den teuren Werbe-Videos nicht blenden lassen und den Raubzug der Konzerne durch ihre Staatskasse durchschauen werden, plant der schwarz-rote Senat entgegen vorheriger Versprechen auch keine Volksbefragung. Stattdessen nimmt er mit seinem Beschluss die Entscheidung der Stadtbevölkerung vorweg. Mit Demokratie hat dieses Großevent eben genauso wenig zu tun wie mit Völkerverständigung oder Solidarität.
Aber wenn die Berliner*innen eins können, dann direkte Demokratie. Sei es mit Unterschriftenlisten oder vermummten Punks. Mögen die Spiele beginnen. Marie Frank
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen