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Archiv-Artikel

Prinzipientreudoof

Juristische Einfältigkeit sowie eigene Unachtsamkeit bescheren dem „gedopten“ Emder Kicker Falk Schindler die mögliche Berufsunfähigkeit

von OKE GÖTTLICH

Der 17. September wird dem Emder Mittelfeldspieler Falk Schindler so schnell nicht mehr aus dem Kopf gehen. Gerade hatte er sich am neunten Spieltag wieder in die Stammformation der Kickers zurückgespielt und netzte zum Führungstreffer in Düsseldorf ein. Emden gewann mit 2:1. Die anschließende Dopingprobe verlief routinemäßig. Ob er irgendwelche Medikamente eingenommen hätte, wurde Schindler gefragt. „Nur eine Aspirin gegen die Kopfschmerzen“, antwortete der erstmals in seiner Laufbahn getestete, gab seine Urinprobe ab, freute sich über den Erfolg und schoss in den folgenden drei Spielen vier weitere Tore für den überraschend starken Aufsteiger der Regionalliga Nord. An solche Ereignisse erinnern sich Fußballer gut.

Falk Schindler hätte sich besser auch an das Haarwuchsmittel Propecia erinnert, was ihm vor fünf Jahren von einer Fachärztin in Dresden verschrieben worden ist, um einen genetisch bedingten Haarausfall zu behandeln. Die darin enthaltene Substanz Carboxy-Finasterid hat die Eigenschaften eines maskierenden Wirkstoffs. Sie beeinflusst den Hormonhaushalt, dass leistungssteigernde Mittel wie Anabolika nicht problemlos nachgewiesen werden können. Für Schindler gehörte das Mittel derart zum Alltag, dass er vergaß es anzugeben. Da der Wirkstoff erst seit 2005 auf der Dopingliste steht, versäumte Schindler eine Ausnahmeregelung beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) zu beantragen, zumal der Wirkstoff selbst keine leistungsfördernde Wirkung hat. Am 14. Oktober bestätigte das Institut für Biochemie der Deutschen Sporthochschule Köln ein positives Doping-Ergebnis. Falk Schindler verzichtete auf die Analyse der B-Probe in dem Wissen, dass er das Mittel zu sich genommen hat.

Am vergangenen Freitag entschied das DFB-Sportgericht in Frankfurt über das Dopingvergehen Schindlers und sperrte ihn für sechs Monate, bis zum 7. April 2006. Außerdem wurde Kickers Emden die gewonne Partie in Düsseldorf aberkannt und mit einer 2:0-Niederlage neu bewertet. „Wir spielen mit dem Gedanken, Revision einzulegen“, erklärt Präsident Engelbert Schmidt enttäuscht. „Seitens des DFB ist es zudem unverschämt, dass man Falk Schindler nicht die Möglichkeit gegeben hat, nachzuweisen, dass er keine leistungsfördernden Mittel oder Medikamente genommen hat.“ Da das Haarwuchsmittel nur maskierende Wirkung habe sei das Dopingvergehen eine rein medizinische Indikation, so Schmidt.

Auch Kickers-Vizepräsident Günter Kunz, der als Rechtsanwalt den BSV Kickers Emden vertrat, spricht zwar von „juristischem Doping“, stellt aber klar, dass dieser Fall eher „moralisch“ zu betrachten sei und eine Sondersituation darstelle, da „keine Benachteiligung für andere Vereine besteht“. Erklärungsbedürftig scheint das Urteil des DFB-Richters Dr. Rainer Koch besonders vor dem Hintergrund des Freispruchs von Tobias Kreuzmann. Bei dem Wasserball-Nationalspieler wurde ebenfalls im Haarwuchsmittel die Substanz Finasterid nachgewiesen. Der Deutsche Schwimm-Verband stellte das Verfahren mit der Begründung, „dass kein Doping-Vorgehen vorliegt“ ein.

Der Emder Zeitung gegenüber bestätigte ein Mitarbeiter der DFB-Pressestelle, dass der Fußball-Weltverband „wohl Einspruch erhoben hätte“ wenn man unter dem Mindestmaß einer sechsmonatigen Sperre geblieben wäre.

Falk Schindler helfen diese prinzipientreudoofen Paragraphenreitereien wenig. Ihm wurde seitens seines Emder Vereins fristlos gekündigt. Die Emder Vereinsführung erklärt diesen Schritt mit der Sorge vor einer Sperre durch den DFB, sowie mit einem engen finanziellen Spielraum. Einen Spieler weiter zu bezahlen, der sechs Monate nicht einsatzfähig ist, kann sich der kleine Regionalligist kaum leisten. Am 5.12. geht es vor dem Arbeitsgericht um eine mögliche Einigung. Doch die Emder Funktionäre finden sich mit dem Urteil noch nicht ab: „Wir sind es Falk schuldig, Flagge zu zeigen“ kündigt Schmidt an. Sonst würde Falk Schindler per Gesetz und einschlägigen Vereinsinteressen berufunfähig – für mindestens sechs Monate.