: Pressevielfalt? Schön wär’s!
Die taz stellt auf ihrer Medienseite täglich einen Einzeitungskreis vor – und bekommt Ärger
„Hier wird wider besseren Wissens die Realität aus ideologischer Verbissenheit ignoriert und journalistisches Können und Seriösität mit Füßen getreten. Die taz wurde als Gegenöffentlichkeits-Modell gegründet. Man wollte gerade dem vermeintlichen Schweigen und Verschweigen, was man der bürgerlichen Presse vorwarf, entgegentreten. Doch hier wird nichts anderes gemacht als vorsätzlich verschwiegen.“ – Gut gebrüllt, Löwe, möchte man sagen. Doch worum zum Teufel geht es überhaupt?
Die Empörung stammt aus einer Presseerklärung des Bundesverbandes Deutscher Anzeigenblätter (BVDA), der die tägliche taz-Serie „Ein Zeitungskreis“ auf der Medienseite in den falschen Hals bekommen hat. Die hat einen so einfachen wie gewichtigen Hintergrund: Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) will das besondere Kartellrecht für die Presse so verändern, dass es nach Meinung aller Experten – übrigens auch der von Clement selbst – zu weiterer Konzentration bei den regionalen bzw. lokalen Tageszeitungen kommt. Doch gerade dort ist die viel beschworene Vielfalt der Presse schon heute ziemlich ausgedünnt: In über der Hälfte der deutschen Kreise und kreisfreien Städte ist heute nur noch eine lokale Zeitung im Angebot. Der Medienforscher Walter J. Schütz führt seit Jahren darüber Statistik und hat dem Ganzen einen Namen gegeben: Einzeitungskreis.
Die taz stellt nun exemplarisch täglich einen Einzeitungskreis vor – bei Landkreisen meistens bezogen auf einen der bekannteren Orte in selbigem. Dabei zählt die taz auch Städte als Einzeitungskreis, wenn dort außer der regionalen Abonnementszeitung nur eine Straßenverkaufszeitung (Boulevardzeitung) mit Lokalseiten erscheint – wie zum Beispiel in Leipzig oder Magdeburg. Nur am Sonntag erscheinende Titel oder Anzeigenblätter haben in dieser Zuordnung nichts verloren.
Unter dem Stichwort „Gegenmaßnahmen“ informieren wir über uns bekannte Versuche, für mehr Medienvielfalt jenseits der klassischen Kanäle zu sorgen. Ob es sich um ein genossenschaftliches Wochenzeitungsprojekt in Göttingen dreht, ein Obdachlosenblatt oder ein engagiertes Uni-Radio: Hier ist die Auswahl notwendigerweise ganz subjektiv. Wir wissen längst nicht alles und sind auf Rückmeldung aus den Regionen und Informationen der betroffenen LeserInnen angewiesen (medien@taz.de).
Bisweilen listet die Serie auch andere örtliche Medien in Auswahl auf – vor allem mit Blick auf regionale oder lokale Radio- und Fernsehangebote. Kriterium ist hier, dass der jeweilige Sender ein Studio in der vorgestellten Stadt hat. Diese Rubrik hat allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll jenseits der Tagespresse einen kleinen Einblick in die Medienlandschaft dieser Republik geben. Und hieran stößt sich nun der Anzeigenblätter-Verband. Denn natürlich gehören Anzeigenblätter auch zu den lokalen Medien. 1.288 verschiedene Titel gibt es aktuell in Deutschland, mit einer wöchentlichen Auflage von rund 85 Millionen Exemplaren. Die hochgerechnete Wochenauflage aller Tageszeitungen liegt bei über 160 Millionen Exemplaren. Sie gehören zur Normalität wie das Erste Programm der ARD oder das ZDF. Und werden deshalb nicht automatisch einzeln aufgeführt. Zumal in vielen Regionen die Anzeigenblätter zum gleichen Verlag gehören wie die lokale oder regionale, kostenpflichtige Tageszeitung.
Über das „journalistische Können“ oder die „Seriösität“ der Anzeigenblätter sagt das übrigens überhaupt nichts aus. Eine entsprechende Beurteilung kann und will die Serie „Ein Zeitungskreis“ bei keinem der erwähnten Titel oder Sender leisten. Denn darum geht es hier auch gar nicht. Weil’s aber gerade so schön passt: Bei Anzeigenblättern gibt es eine recht einfache Faustformel in Sachen Qualität: Gehört das Blatt zum gleichen Verlag oder Konzern wie die regionale Tageszeitung, ist Skepsis angebracht. Macht dagegen das Anzeigenblatt dem verschnarchten Lokalteil am Ort publizistisch Konkurrenz, sieht die Sache schon anders aus. Durch die taz-Serie inspiriert, stellt der Anzeigenblätter-Verband auf seiner Website gerade die seiner Meinung nach Besten vor (www.bvda.de). STEFFEN GRIMBERG