Pressefreiheit in Israel: Bibis Medien-Blockade
Netanjahus Boykott der „Haaretz“ ist ein weiterer Schritt im Kampf gegen freie Presse in Israel. Auch der Sender Kan ist jetzt ins Fadenkreuz geraten.
Die Haaretz gehört zu den schärfsten Kritikern der Netanjahu-Regierung, sie berichtet seit dem 7. Oktober 2023 unermüdlich über das Schicksal der Geiseln in Gaza und die Kriegsführung der israelischen Armee. Am 24. November beschloss das israelische Kabinett einstimmig Maßnahmen gegen die Haaretz. Die Resolution, die nicht auf der veröffentlichten Tagesordnung des Kabinettmeetings stand, war ein Vorstoß des Kommunikationsministers Shlomo Karhi (Likud). Sie wurde im Vorfeld auch nicht wie üblich vom Generalstaatsanwalt überprüft.
Haaretz selbst spricht in einem Artikel von „Sanktionen“ und einem „Boykott“ gegen die Zeitung. In Zukunft sollen alle Regierungsvertreter und Angestellten von staatlich-finanzierten Behörden nicht mehr mit ihr kommunizieren dürfen, heißt es im Kabinettsbeschluss. Sie sollen auch keine Anzeigen mehr in der Zeitung schalten dürfen, wie sie es in Vergangenheit etwa mit Öffentlichkeitskampagnen zu Verkehrssicherheit oder Luftschutzmaßnahmen getan hatten (2021 gab der Staat etwa 3,5 Millionen Shekel für solche Anzeigen in der Haaretz aus, umgerechnet rund 800.000 Euro).
Ob das überhaupt legal ist, wird vermutlich demnächst vor Gericht verhandelt werden. Sicher ist: Sie sind in der israelischen Geschichte beispiellos. Und sie stellen die nächste Eskalationsstufe eines Kriegs gegen eine freie, kritische Presse in Israel dar, die Premierminister Benjamin Netanjahu schwächen, wenn nicht zerstören will.
Leitartikel gegen Israel
Begründet hat Kommunikationsminister Karhi den Kabinettsbeschluss mit „vielen Leitartikeln“ der Zeitung, „die Legitimität des Staates Israel und sein Recht auf Selbstverteidigung verletzt haben, insbesondere die Äußerungen des Herausgebers von Haaretz, Amos Schocken, in London, die den Terrorismus unterstützen und Sanktionen gegen die Regierung fordern“.
Schocken sagte im Oktober auf einer Konferenz der Zeitung, dass Netanjahu „sich nicht darum schert, der palästinensischen Bevölkerung ein grausames Apartheidregime aufzuzwingen“. Er sprach von „palästinensischen Freiheitskämpfern, die Israel Terroristen nennt“. Die Äußerungen sorgten innerhalb und außerhalb Israels für Empörung, Schocken ruderte schnell wieder zurück und präzisierte, dass er damit nicht die islamistische Terrororganisation Hamas gemeint habe. Er betonte: „Der Einsatz von Terror ist nicht legitim.“
Doch Kommunikationsminister Karhi hatte damit schon den Anlass, auf den er spätestens seit November 2023 gewartet hat. Damals schrieb er auf X, dass er die Finanzierung der Haaretz stoppen will, indem er etwa die Zeitungsabos sämtlicher Regierungsstellen sowie der Polizei und Armee kündigen wolle. Nach den Äußerungen von Schocken sah er seine Chance, endlich gegen die Zeitung vorzugehen.
Die Kampagne ist nur eine von mehreren Fronten in Netanjahus Krieg gegen die israelischen Medien. „Netanjahu sieht die Medien als Feind“, sagt Oren Persico von The Seventh Eye, einem unabhängigen Online-Magazin in Israel mit dem Schwerpunkt Medien und Pressefreiheit, der taz. „Und wer ihm nicht loyal ist, wird selbst zum Ziel.“ Persico sieht diese Kampfansage an die Medien als Teil derselben Strategie, die israelische Demokratie, Justiz und Akademie zu schwächen.
Narrative kontrollieren
Ähnlich sieht es Anat Saragusti. Sie ist zuständig für Pressefreiheit bei der israelischen Journalistenunion. „Netanjahu will wie jedes populistisches Regime das Narrativ kontrollieren, über den Krieg und sich selbst“, sagt sie der taz. Sie spricht von einer „Hetzkampagne“ gegen die Medien. Die Gewerkschaft überprüfe aktuell, ob sie nach der Haaretz-Resolution eine Beschwerde beim Obersten Gerichtshof einlegen werde.
Auch der öffentlich-rechtliche Sender Kan, erst 2017 gegründet, ist nun ins Fadenkreuz geraten, vor allem dessen Nachrichtenprogramme. Kommunikationsminister seit der vergangenen Wahl 2022 haben Karhi sowie andere Likud-Abgeordneten zahlreiche Gesetzesvorlagen in die Knesset eingebracht, die die Unabhängigkeit des Senders de facto zerstören sollen – durch Kürzungen, Regierungskontrolle und Privatisierung. Oppositionsanführer Yair Lapid (Yesh Atid) sieht in dem Gesetzesentwurf „einen Angriff auf die israelische Demokratie“.
Netanjahu und seine Anhänger delegitimieren immer wieder diverse Medien in Israel. Sie bezeichnen etwa den privaten Sender Keshet 12 als „Al Jazeera 12“, in Anspielung auf den arabischen Sender, in Israel inzwischen verboten und von Netanjahu als „Terrorkanal“ bezeichnet worden (der Sender wird vom katarischen Staat finanziert und von unterschiedlichen Beobachtern als Sprachrohr der Hamas kritisiert).
2019 druckte Netanjahus Wahlkampfteam die Gesichter prominenter Medienvertreter auf Billboards, mit den Worten „Sie werden nicht entscheiden“ – was viele als Anfeindung verstanden. Und in Israel spricht man von der „Giftmaschine“ Netanjahus, von den loyalen Influencern, Kommentatoren und Online-Trollen, die er zur Hetze auf Journalisten aufstachelt.
Angriffe auf die Pressefreiheit
All das führe zu einem rasanten Anstieg an körperlichen Angriffen gegen die Presse in der Öffentlichkeit, sagt Anat Saragusti von der israelischen Journalistenunion. Die Gewerkschaft dokumentiert solche Vorfälle auf einer interaktiven Karte: Alleine seit dem 7. Oktober 2023, dem Überfall der islamistischen Terrororganisation Hamas auf Israel, gab es 35 – für das kleine Land sind das viele. Das Berichten über die diversen Proteste im Land wird etwa immer gefährlicher, die Gewalt gegen die Presse geht oft von der Polizei oder von Nationalreligiösen aus – mit Tritten, Schlägen, Spucken und Beschimpfungen.
Gleichzeitig versucht Netanjahu schon seit Jahren, sein eigenes Netzwerk loyaler Medien aufzubauen. In den unterschiedlichen Korruptionsfällen gegen ihn spielen die Medien eine zentrale Rolle: Es geht neben Champagner, Zigarren und Schmuck im Wert von mehreren Hunderttausend Euro, Geschenke, die er bekommen haben soll, auch um schmeichelhafte Schlagzeilen über ihn und seine Familie, die er als Gegenleistung für politische Gefälligkeiten habe erwirken wollen.
Vielleicht das loyalste Medium war die kostenlose Zeitung Israel Hayom, die in Israel Bibiton genannt wurde – zu Deutsch „Bibizeitung“, in Anspielung auf seinen Spitznamen. Die Zeitung, inzwischen die meistgelesene Israels, wurde 2007 vom US-amerikanischen Casino-Millionär und Trump-Großspender Sheldon Adelson gestartet.
Damit wollte Adelson Netanjahu wieder ins Amt des Premierministers hieven, mit einem Sprachrohr der Hofberichterstattung. Mehr als 50 Millionen Dollar sollen laut israelischen Medien alleine in den ersten Jahren in das Projekt geflossen sein. Und der Plan ging auch auf: 2009 wurde Netanjahu wieder gewählt und regiert seitdem – mit Ausnahme von 2021 bis 2022 – ununterbrochen.
Streit mit „Israel Hayom“
Doch inzwischen rückt Israel Hayom von Netanjahu ab, es soll Zoff zwischen den Netanjahus und den Adelsons gegeben haben, obwohl die Blattlinie weiterhin eine rechte ist. Der Premierminister setzt stattdessen auf Channel 14, einen Privatsender, den einige im Land mittlerweile als rechtsradikal bezeichnen. Dieser verbreitet etwa Verschwörungserzählungen wie die eines linksliberalen „Deep States“ innerhalb der israelischen Armee. Immer wieder werden zu Kriegsverbrechen gegen Palästinenser aufgerufen. Und dort ist Bibi ein Dauergast, während er sämtlichen anderen israelischen Medien in der Regel keine Interviews gibt.
Trotzdem bleibt Anat Saragusti von der israelischen Journalistenunion vorsichtig optimistisch. „Netanjahu wird mit diesem Medienkrieg nicht erfolgreich sein, weil der öffentliche Diskurs in Israel ein reger ist“, sagt sie. „Die Haaretz wird zum Beispiel gerade wegen dieser Kampagne viel stärker. Ich hoffe, dass auch andere Medien sich mit ihr solidarisieren.“
Oren Persico ist ambivalenter. „Die Privatisierung von Kan wird sicherlich vor dem Obersten Gerichtshof landen“, sagt er. „Und entweder kommt Netanjahu damit durch und gewinnt. Oder es wird zurückgewiesen und er hat einen weiteren Beweis dafür, dass die Justiz und die linksgerichteten Medien unter einer Decke stecken, um ihn zu zerstören.“ Für Netanjahu ein Win-Win.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte