■ Press-Schlag: Morbide Faszination
„30 men on a dead man's grave“: Der so lautende Song des Rockmusikers Phillip Boa – obwohl nunmehr zwei Jahre alt – hätte ein passendes Motto zu einer Tagung dargestellt, die am vergangenen Wochenende in Gummersbach abgehalten wurde. Dort versammelten sich im Namen der Theodor-Heuss- Akademie rund 30 Männer, um unter dem Titel „Verkaufte Faszination“ 30 Jahre Fußball-Bundesliga Revue passieren zu lassen. Da es sich um eine lupenreine Männergruppe handelte, mußte Norbert Seitz die Eröffnungsrede spontan umstellen: „Sehr geehrte Damen und Herren. Die Herren sind ja bereits alle da, die Frauen werden wohl noch kommen.“ Nach dieser ungemein originellen Einleitung ging er dazu über, aus seinem 1987 veröffentlichten Werk „Bananenrepublik und Gurkentruppe“ vorzulesen. Anschließend stellte er den Anwesenden sein All-Star-Team aus 30 Jahren Bundesliga vor, was zumindest Anlaß gab, im Nachhinein eine Gegenmannschaft aufzustellen, um die Seitz-Elf zu schlagen, bei der Spieler wie Keegan oder Laudrup noch nicht einmal zum erweiterten Kader zählten.
Doch der Bonner Diplomsoziologe sollte nicht der einzige Referent bleiben, der vorwiegend aus seinen (ver)alte(te)n Werken vorlas. Mehr oder weniger gleich taten es ihm die mutmaßlich sehr beschäftigten Herren Karl Riha, Gerd Hortleder und Helmut Böttiger. Spätestens beim Schlußreferat des Kultursoziolgen und ehemaligen Fanbetreuers Narciss Göbbel wurde deutlich, daß diese Art der Vergangenheitsbewältigung lediglich Ausdruck einer Einstellung ist, die vor allem unter den älteren Anwesenden vorherrschte. Wahren, faszinierenden Fußball spielte in ihren alt-68-getrübten Augen nur die Borussia aus Mönchengladbach mit ihren Stars der siebziger Jahre Netzer, Wimmer, Heynckes. Die Kommerzialisierung habe alles zum Schlechten verändert, und so wurde kollektiv über den „morbiden Zustand des heutigen Fußballs“ (Göbbel) gezetert und gejammert.
Allerdings gab es auch Beiträge, bei denen etwas von der nach wie vor vorhandenen Faszination des Fußballs zu spüren war. So gelang es dem Frankfurter Heipe Weiss, ausgehend von seinem verletzten kleinen Finger, anhand eines Spiels seiner Freizeitmannschaft das Wesen der ach so ungeliebten Steilvorlage zu erklären. Am anschaulichsten war der Stellenwert des angeblich todkranken Fußballs dann aber zu bemerken, als sich knapp 30 Männer genauso kollektiv vor dem Fernseher versammelten, um unter vielen Ahs und Ohs die Bundesligaberichte im Fernsehen zu verfolgen. Denn, um es mit den Worten des einstigen Trainers des FC Liverpool Bill Shankly, auszudrücken: „Football is not a matter of life and death. It is more important than that.“ Michael Bolten
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