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Preise, die alle bisherigen Dimensionen sprengten

■ Mit seinen Bildern aus den fünfziger und sechziger Jahren erzielte de Kooning Rekordpreise. Das Erbe, das er hinterläßt, wird auf 150 Millionen Dollar geschätzt

Als Willem de Kooning 1955 das Bild „Interchange“ malte, hatte er, der im August 1926 zweiundzwanzigjährig von Holland in die USA ausgewandert war, um es „zu etwas zu bringen und reich zu werden“, die meiste Zeit seines Lebens in bitterer Armut verbracht.

Rund dreißig Jahre später war „Interchange“ Gegenstand eines Austauschs besonderer Art: 1989 versteigerte das Auktionshaus Sotheby's das Gemälde zum Rekordpreis von 20,6 Millionen Dollar, damals etwa 35 Millionen Mark. Zu diesem Zeitpunkt schwebte de Kooning längst in luftigen Höhen, in doppelter Hinsicht: Die Dotierung seiner Bilder sprengte alle bisher bekannten Dimensionen, und: seit drei Jahren war bekannt, daß der Künstler, der 1962 amerikanischer Staatsbürger geworden war, an der unheilbaren Alzheimerschen Krankheit litt.

Dazu kam, daß 1987 sein langjähriger Galerist Xavier Fourcade starb. So ergab sich eine paradoxe Situation, die in der Kunstszene jedoch nicht so ungewöhnlich ist, wie es zunächst scheinen mag: Zwar galt de Kooning als der Maler, dessen Werke Höchstpreise erzielten, er selbst aber profitierte davon in relativ bescheidenem Maße: 1988, im Jahr des Verkaufs von „Interchange“, verdiente de Kooning „nur“ 1,7 Millionen Dollar. 1987 waren es noch mehr als neun Millionen gewesen. Der größte Teil des Erlöses stammte aus Verkäufen von Bildern, die wie „Interchange“ aus den fünfziger und frühen sechziger Jahren datieren.

Vom Malen hielt ihn das nicht ab, weder sein fortschreitender geistiger Verfall noch die Mechanismen des internationalen Kunsthandels. Seit Einsetzen seiner Krankheit schuf er mehr als dreihundert Gemälde, bis er 1990 die Pinsel endgültig beiseite legte. Zwischenzeitlich war auch, für de Kooning besonders tragisch, seine Ehefrau Elaine de Kooning gestorben. Daraufhin ließ seine Tochter Lisa ihn per Gerichtsbeschluß entmündigen. Zusammen mit dem New Yorker Anwalt John Eastman übernahm sie fortan Vormundschaft und Verwaltung seines Vermögens.

Die Bilder, die nach 1980 entstanden, halten die beiden seitdem weitgehend unter Verschluß. Die Meinungen der wenigen Experten, die sie zu sehen bekamen, gehen, was die Qualität der Bilder betrifft, weit auseinander. Für Arnold Glimcher von der New Yorker Pace Gallery, die sich im Auftrag von Lisa de Kooning und John Eastman um deren Verkauf kümmern soll, gehören sie „zu den besten de-Kooning-Werken“, die er je gesehen hat.

Andere hingegen, wie die Kommission, die Gary Garrels, damals Leiter der Dia Art Foundation und heute Direktor des Museum of Modern Art in San Francisco, um ihre Einschätzung bat, urteilten, die Gemälde seien „nicht mehr stimmig“. Garrel schloß sich dieser Auffassung an: den Bildern fehle jede Art kompositorischer Absicht. De Kooning habe das Ganze zweifellos nicht mehr überblicken oder kontrollieren können. Die Zweifel gingen soweit, daß die Autorenschaft de Koonings in Frage gestellt wurde: Assistenten, nicht der sieche Meister selbst, hätten die Gemälde hergestellt. Argwohn lösten auch Berichte aus, de Kooning würde von der Außenwelt abgeschirmt, die Rede war gar von einer Verschwörung der Vermögensverwalter gegen den Kranken.

Daß die Affairen nach dem Tod von de Kooning zu einem Ende kommen, ist nicht zu erwarten. Dafür geht es um zu viel Geld: Das Erbe, das Willem de Kooning hinterläßt, wird auf 150 Millionen Dollar geschätzt. Andererseits: Als der international agierende Versteigerer Christie's auf seiner Herbstauktion 1996 zwei Aquarelle mit abstrakten Kompositionen de Koonings aus dem Jahr 1965 anbot, erzielte das eine mit 7.500 Pfund gerade mal die Hälfte des Schätzpreises. Das andere Blatt ging unverkauft an den Anbieter zurück. Ulrich Clewing

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