Präsidentschaftswahl in Frankreich: Ein plumper Reaktionär
Im Frühjahr wählt Frankreich. Éric Zemmour könnte dabei sogar Marine Le Pen rechts überholen. Seit Jahren verbreitet er Rassismus in Talkshows.
Die französischen Medien haben den Provokateur in der Vorwahlperiode zu ihrem Hauptthema gemacht. Seit Wochen grinst er von den Frontseiten der Magazine, die sich mit dem „Phänomen Zemmour“ auseinandersetzen. Das rechte Medienimperium des Milliardärs Vincent Bolloré möchte ihn an die Staatsspitze hieven, wie dies einst Fox News in den USA mit Donald Trump gelungen war.
Zemmour kann als Medienprodukt des Fernsehsenders CNews gesehen werden, wo er mit einem gewissen Redetalent und einer Unverfrorenheit ohne gleichen seit Jahren gegen Multikulti und Antirassismus hetzen durfte. Bis vor Kurzem hatte Zemmour auf CNews mit einer täglichen Sendezeit eine Bühne als Hauptdarsteller seiner selbst.
Eine kritische Biografie mit dem Titel „Le Radicalisé“ (Der Radikalisierte) von Étienne Girard schildert in sehr anschaulicher Weise, wie es kommen konnte, dass dieser zunächst unscheinbare Journalist in die Rolle eines französischen Trump schlüpfen konnte. Zum einen stellte der Autor in Frankreich eine politische Marktlücke fest. Aber auch die Familiengeschichte erkläre einiges.
Extrem rechte Rhetorik
Zemmour kam 1958 in einem Pariser Vorort als Sohn einer aus Algerien nach Frankreich emigrierten jüdischen Familie auf die Welt. Das war vor dem Ende des Kolonialkrieg jenseits des Mittelmeers. Nach seinem Politologiestudium scheiterte er zwei Mal an der Aufnahmeprüfung der Pariser Verwaltungshochschule ENA, der Kaderschmiede der französischen Elite.
Später setzte er alles daran, dass seine heutige Kommunikationsberaterin, die allgegenwärtige Sarah Knafo, schließlich an der ENA studieren konnte. Die 28-Jährige ist heute seine rechte Hand, und nach Darstellung der Klatschpresse, die intime Fotos publizierte, sogar weit mehr. Nach Ansicht von Medien wie Libération habe sie das Phänomen Zemmour erst geschaffen und würde ihn nun zu einer Präsidentschaftskandidatur drängen.
Statt in politische Spitzenpositionen vorzustoßen, musste sich Zemmour lange Zeit mit Jobs in Zeitungsredaktionen begnügen, wo er nicht immer als Starjournalist galt. Sein Talent als schlagfertiger Provokateur entfaltete er erst später in Fernseh-Talkrunden, wo es einzig und allein darum geht, mit Äußerungen zu schockieren und so ein am Spektakel interessiertes Publikum anzuziehen.
Seit etwa 2010 geht Zemmour, der aus seiner Sympathie mit der extremen Rechten kaum einen Hehl macht, in seiner Polemik immer weiter. So behauptete er, Marschall Pétain, der Chef der faschistischen Kollaboration mit den nationalsozialistischen Besetzern, habe die „französischen Juden gerettet“, indem er die ausländischen Juden deportieren ließ. Mit dieser historisch unhaltbaren Äußerung hat Zemmour nicht nur die jüdische Gemeinschaft vor den Kopf gestoßen.
Über eingereiste Minderjährige ohne Familie sagte er: „Diese Jugendlichen, wie der Rest der Migranten, haben hier nichts zu suchen. Das sind Diebe, Mörder, Vergewaltiger. […] Man muss sie zurückschicken.“
Sexist mit einem Herz für Putin
Einige Fernsehsender haben mittlerweile ihre Zusammenarbeit mit Zemmour gekündigt. Er wurde mehrfach wegen gehässiger Äußerungen angeklagt und in zwei Fällen auch letztinstanzlich verurteilt, nachdem er die Prozesse bis zum Kassationsgericht gezogen hatte. Wegen dieser Vorstrafe ist derzeit unklar, ob Zemmour überhaupt bei der Präsidentschaftswahl kandidieren kann. Einen Antrag, der die Kandidatur verhindern soll, hat jetzt der Parteichef der französischen Kommunisten, Fabien Roussel, in der Nationalversammlung eingereicht.
Auch in seiner Rolle als sexistischer Macho gefällt sich Zemmour. In seinen Büchern „Le premier sexe“ (Das erste Geschlecht) und „Le suicide français“ (Der französische Suizid) skizziert er einen durch die „Feminisierung der Gesellschaft“ provozierten Geschlechterkrieg, der Frankreich mit einer „Entmannung“ bedrohe. Mindestens fünf Frauen beschuldigen ihn der „sexuellen Aggression“.
Weniger bekannt sind in Frankreich Zemmours prorussische Einstellungen. Die Times aber konstatiert hier eine wachsende Gegenliebe: „Moskau setzt in Frankreich (bei den Präsidentschaftswahlen) auf ein neues Pferd“, weil das Regime des russischen Präsidenten Wladimir Putins die nationalistische Einstellung Zemmours und dessen Wunschvorstellung einer Allianz mit Frankreich und Deutschland gegen die Angelsachsen teile.
Egal ob die französische Öffentlichkeit über Drogenprobleme, Kriminalität oder Terrorismus diskutiert – stets will Zemmour die Immigration, insbesondere von Muslimen, als Ursache erkennen. Sie seien für die französische Republik nicht integrierbar.
Und er hat eine weitere Obsession: Dass gemäß der Theorie des Grand Remplacement von Renaud Camus in absehbarer Zukunft die aus Afrika Eingewanderten die weißen Einheimischen in der Bevölkerung Frankreichs mehrheitlich „ersetzen“ würden.
Politische Debatten in Frankreich verpestet
Mit einem derart abgestandenen Rassismus Schlagzeilen zu machen und als Präsidentschaftskandidat glaubwürdig zu werden, ist tatsächlich bemerkenswert. Laut letzten Umfragen würde Zemmour derzeit bei Wahlen als Zweiter 17 Prozent erzielen und könnte damit in der Stichwahl gegen Amtsinhaber Emmanuel Macron antreten.
Ob Zemmour wirklich kandidiert, ist noch unklar. Doch er verbreitet schon jetzt Schrecken. Marine Le Pen vom rechtsextremen Rassemblement National muss befürchten, dass er sie rechts überholt, sie damit kostbare Stimmen kostet – laut einer Studie mehr als 40 Prozent ihrer Wählerschaft – und ihr womöglich die Qualifikation für das Finale gegen Macron raubt. Auch die Konservativen könnten einen Teil ihrer Wählerschaft, die sich von Zemmours rassistischer und antimuslimischer Rhetorik beeindrucken lässt, verlieren.
Dass Zemmour zum nächsten Präsidenten Frankreich gewählt wird, halten die allermeisten Politologen für unwahrscheinlich. Trotzdem bestimmt der Rummel um seine Persönlichkeit und die damit verbundenen reaktionären und nationalistischen Parolen bis auf Weiteres die politische Debatte im Land.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern