: Präsident stürzt Parlament ins Patt
■ Eklat im Rathaus Schöneberg: Parlamentspräsident weigert sich, Akademie-Auflösungsgesetz zu unterzeichnen / Nun herrscht Ratlosigkeit
West-Berlin. Zu einem in der Berliner Parlamentsgeschichte der Nachkriegszeit einmaligen Vorgang kam es während der gestrigen Plenarsitzung im Rathaus Schöneberg: Gegen die parlamentarische Mehrheit weigerte sich Parlamentspräsident Wohlrabe (CDU), seine Unterschrift unter das Gesetz zur Auflösung der Akademie der Wissenschaften zu setzen. Obwohl gestern in dritter Lesung das Gesetz mit den Stimmen der rot -grünen Koalition verabschiedet wurde, kann es solange nicht in Kraft treten, wie es von Wohlrabe nicht unterzeichnet ist.
Wohlrabe hatte eine dritte Lesung beantragt, nachdem ein weiteres juristisches Gutachten (das vierte) eingegangen war, das ebenfalls von ihm angefordert worden war. Wohlrabe begründete seine Weigerung damit, daß nach dem neuesten Gutachten des Staatsrechtlers Isensee die Auflösung der Akademie rechts- und verfassungswidrig sei. In dem Gutachten von Isensee wird allerdings nur festgestellt, daß der Verfasser juristische Bedenken gegen die Auflösung habe, von Verfassungswidrigkeit ist dort aber nicht die Rede. In seiner Funktion als Parlamentspräsident steht es Wohlrabe nicht zu, die Verfassungswidrigkeit festzustellen, er kann höchstens Bedenken äußern. Wohlrabe störte sich daran nicht: „Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich erlaube mir vor Eintritt der dritten Lesung die Ankündigung, daß ich keine Möglichkeit sehe, das Gesetz über die Auflösung der Akademie der Wissenschaften auszufertigen, sofern der Ihnen vorliegende verfassungswidrige Entwurf erneut beschlossen werden sollte.“ Mit diesen Worten leitete der Präsident eine hitzige Debatte über die Auflösung der Akademie ein.
Oppositionschef Diepgen sprach nach eigenem Bekunden „mit aller Leidenschaft“ gegen die „schädliche und schändliche Auflösung“. Mit diesem Gesetz, so Diepgen, beweise der Senat eine Wissenschaftsfeindlichkeit, wie man sie aus den Zeiten des SED-Regimes kenne. Die Diskussion um die Akademie erinnere ihn an die Zeit der Hexenprozesse, wo auch schon das Urteil immer im Vorfeld festgestanden habe. Diepgen nutzte die Gelegenheit, um einen Mißtrauensantrag gegen den Regierenden Bürgermeister zu beantragen. Vor der abschließenden Abstimmung verließen die Abgeordneten der CDU -Fraktion unter Protest den Raum. Mit den Stimmen von SPD und AL wurde das Gesetz dann zwar formal beschlossen, in Kraft treten kann es aber nicht. Völlig unklar war gestern, wie das Problem nun gelöst werden soll. Eine Verfassungsklage kann von Berlin aus nicht angestrengt werden. Wohlrabe selber gab keine Antwort auf die Frage, wie er in diesem einmaligen Fall weiter verfahren wolle.
Kd
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