: Power-Frauen
■ Alvin Ailey American Dance Theater
Mit einer Hymne an ihren 1989 verstorbenen Choreographen begann die Tanztheater-Compagnie Alvin Ailey American Dance Theater am Mittwoch den dreiteiligen Abend im CCH. Judith Jamison, die das Ensemble jetzt leitet, schuf mit diesem Werk gleichzeitig einen Nachgesang und einen Neuanfang. Die Bewegungen illustrieren immer auch Aussagen, damit blieb Jamison dem Stil ihres Vorgängers treu. Ihr Tanz ist eine Mixtur aus Jazz, Modern, Afro, Ballett, Carribean und indischem Tanz – auch das eine Hommage an Ailey.
In den Soli erzählen die Tänzer vom Kampf mit dem „häßlichen“ Körper, vom Bruch zwischen der Welt der in Afrika lebenden Großmutter und dem Großstadtleben in New York. Aus dem Lautsprecher kommen Texte des Verstorbenen: Aussagen über den spirituellen Ursprung des Tanzes, über seine gesellschaftliche Relevanz, sein politisches Statement, über die „blood memories“ seiner schwarzen Kindheit in den Südstaaten Amerikas und die Kunst, zu unterhalten. Denn Unterhaltung – das mag für ein deutsches Publikum schwer verstehbar sein – ist ein unabdingbarer Grundstein amerikanischer Kultur, wenn sie ihren Weg auf die dortigen Bühnen schaffen will.
Die politische Relevanz des Stückes Revelations aus dem Jahre 1960 ist heutzutage nicht mehr zu verstehen. Das sagt Jamison während ihrer Hymne, und das wird auch während der folgenden Aufführung sichtbar, die wie eine Revue wirkt, obgleich die Tänzer in ihrer Kraft und „extension“ – der größtmöglichen Dehnbarkeit, mit der ein Körper in den Raum hinausgezogen werden kann – unübertrefflich sind.
Der Höhepunkt des Abends ist die 1986 entstandene Choreographie Vespers von Ulysses Dove, die die Tänzerinnen auf ganzer Linie fordert. Im Spiel zwischen gesellschaftlich verordneter Geometrie und individueller Lust nehmen die sechs Frauen ihren Platz auf den Stühlen ein – oder verweigern ihn mit dynamischen Willensausbrüchen. Röcke wirbeln hoch, Fäuste rasten ein, Fingernägel kratzen an den Innenschenkeln. Nach dieser Etude weiblicher Sexualgier zur hämmernden Schlagzeugmusik von Mikel Rouse werden sich Neumeiers Tänzerinnen an der Dammtorstraße wahrscheinlich umsonst die Finger lecken. gmw
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