der housesitter: Postsachen
Morgenlektüre
Auf Wohnungen aufzupassen kann auch seine Vorteile haben. Bei den R.s muss ich beispielsweise nach der Post schauen. Ihre Zeitungen bestellt die Familie während des Urlaubs nicht ab. „Sie können Sie lesen oder wegwerfen“, sagt Herr R. jedes Mal zum Abschied. Nun habe ich am Frühstückstisch mit meinen eigenen Abos ein ganzes Zeitungssortiment zum Durchblättern. Herr R. liest nämlich Handelsblatt und Berliner Zeitung. Der Nachteil: eine Unmenge von Altpapier.
Aber ich blättere auch gerne durch die Illustrierten und Kataloge, die sich in den Briefkästen meiner verreisten Nachbarn anfinden: Bunte, Brigitte oder Schöner Wohnen. Auch lese ich die Jungle World mal wieder gern. Und Susanne R., das ist die Tochter, will offenbar ihr Italienisch verbessern. Sie bekommt Adesso, eine Zeitschrift mit italienischen Artikeln und Vokabelkasten. Und ich will schließlich auch noch in Urlaub fahren. Die ganze Lektüre ist natürlich abgesprochen.
Sehr interessant war vergangenes Jahr auch der neue Katalog von Pro-Idee, einem Versand für schrille Erfindungen. In der Küche des Ehepaars N. habe ich tatsächlich diese elektronische Pfeffermühle mit im Mahlwerk eingebauter Taschenlampe gefunden. Die N.s sind offenbar große Freunde eines perfekten Candlelight-Dinners. Zudem liegt in ihrem Kühlschrank noch ein seltsamer Stein. Im Katalog steht, dass der „Frigo Fresh“ alle unangenehmen Gerüche beseitigt. Er ionisiere nämlich die Luft.
Aber mit der Post erfährt man durchaus noch mehr über seine Nachbarn. Herr N. beispielsweise muss es ziemlich eilig gehabt haben auf der Reise ins Cinque Terre. In seinem Briefkasten lagen diese typischen grünblauen Umschläge, Absender: die Landratsämter in Nürnberg und in Rosenheim. Er scheint gleich zweimal geblitzt worden zu sein.
Voriges Jahr hatte ich mit der Post übrigens ein ganz verzwicktes logistisches Problem. Frau S. hatte während ihres Urlaubes ein Paket bekommen, vielmehr eine orange Paketbenachrichtigungskarte. Das ist bei uns im Haus immer so. Ich glaube, es liegt daran, dass unsere Straße so eng ist und die Post es gar nicht gern hat, wenn ihre Paketausfahrer da ständig Beulen an parkenden Autos machen könnten. Was aber nun tun? Ich wollte doch verhindern, dass das Paket wieder zurückgesendet wird. Im Postamt braucht man aber einen Personalausweis, wenn man beim Otto-Versand nur zwei Bleistifte bestellt hat. Daher bedurfte es leider eines nicht ganz sauberen Tricks: Ich habe die orange Karte mit der Unterschrift von Frau S. – woher ich die hatte, muss verborgen bleiben – an die Post zurückgeschickt, um erneute Zustellung gebeten und an der Tür von Frau S. einen Zettel geklebt, der den Postboten einen Stock höher zu meiner Wohnung umgeleitet hat. Das klappte wunderbar. Ich habe dann nur aus Interesse dem Herrn noch hinterhergesehen. Er parkte wie immer in der nächsten Querstraße – über 200 Meter entfernt.
JÖRN KABISCH
Jörn Kabisch geht diesen Sommer nicht wie seine Kollegen nach Feierabend ins Schwimmbad. Er hütet Wohnungen.
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