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Post-Moderne in Preußisch-Sibirien

■ In der Volleyball-Bundesliga bezwang der Vorletzte Post TSC überraschend den in der Tabelle weit besser plazierten Lokalrivalen SC Charlottenburg mit 3:1 Sätzen/ Die modernere Arbeitsweise der Postler gab den Ausschlag

Charlottenburg. Wäre das Bundesliga-Match zwischen Post TSC und dem SC Charlottenburg ein Stück Theatergeschichte, hätte man die Aufführung am Freitag abend »absurd« finden müssen. Man stelle sich vor: Beide Volleyballclubs werben auf ihren Trikots für Kommunikationsriesen. Und trotzdem (deshalb?) paaren sie sich im hintersten Eckchen von Berlin, im Korber-Zentrum(!) an der Waldbühne, wo sich die BVG ab 18 Uhr nicht mehr hintraut. Da die Begegnung jedoch erst um 19 Uhr begann, mußte man mangels Auto Preußisch-Sibirien per pedes durchmessen. Derart aufgewärmt, hätte mancher Zuschauer gleich selbst mitspielen können. Doch halt! Wer den gastgebenden Post TSC gegen den SC Charlottenburg mit den beamteten Sandmännchen seines Namensgebers verwechselte, sah diesen Irrtum bald ein. Schon die Anfangsaktionen der Mannen um DDR-Rekordspieler René Hecht zeigten, daß in Preußisch-Sibirien die Post-Moderne angebrochen war. Zum erstenmal in der laufenden Bundesligasaison zeigten die Weißhemden, wozu sie eigentlich fähig sind, weshalb ihr mieser vorletzter Rang in der Tabelle folgerichtig ein grausamer Faustschlag des Schicksals sein mußte. Spätestens nach den 28 Spielminuten des ersten Satzes erkannte dies auch der Tabellenfünfte SC Charlottenburg.

Doch was sollten die »Synamo Six« des ehemaligen DDR-Meisters aus Ost-Berlin, die zum SC rüberfusionierten, gegen die spontihaften Schmetterschläge ihrer ebenso unberechenbaren wie kongenialen Kontrahenten alias René Hecht, Robert Dellnitz oder Konstantin Bouriakine ausrichten? So geschickt sich die SCCer um ihre Leitfiguren Ronald Triller oder Franko Hölzig auch postierten — die Post kommt eben überall durch. Ein übriges trugen die Fehler des SCC bei den Aufschlägen, der Ballannahme sowie eine lückenhaften Blockbildung am Netz bei.

Mit 2:1 Sätzen (15:11, 13:15 sowie 15:12) führte der vermeintliche Außenseiter Post TSC vor dem vierten Durchgang. »Endlich läuft es mal bei uns«, stieß ein zufriedener Manager Uwe Krause ins Post-Horn: »Wir hatten sehr viel Pech in der noch jungen Saison. Zuerst Verletzungen, dann konnte das Team nicht immer zusammen trainieren. Und da die Mannschaft im letzten Zweitligajahr kaum verloren hatte, war sie eine Niederlagenserie wie zu Beginn der laufenden Spielzeit nicht gewöhnt. Bis man sich dann zusammensetzt, um herauszufinden, woran es liegt, das dauerte eine Weile!«

Fast schien es so, als wären die langen Diskussionsabende vergebens gewesen. Wie die Feuerwehr legte der SCC im vierten Abschnitt los. 2:0 führte der Tabellenfünfte nach nur zwei Aktionen, und man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Post-Crew eine Konzentrationspause eingelegt hatte. Gerade noch zur rechten Zeit holte das Trainergespann Schier/ Tscharke seine Eleven zu einer »Auszeit« vom Feld, um sie darüber aufzuklären, daß Schalterstunde sei. Das wirkte. In der Folgezeit entwickelte sich nun ein erstklassiges Match, das auf hohem Niveau stand und vor allem von den Finessen einiger Einzelkönner lebte. Beim Stande von 11:11 wogte die Partie hin und her, weil Hölzig, Triller & Co. auf der einen bzw. Hecht, Dellnitz und Konsorten auf der anderen Seite mit exzellenten Angriffskombinationen das Aufschlagrecht immer wieder zurückeroberten. Aber punkten kann halt nur der, der aufschlagen darf. Nach exakt 124 Minuten sprang ein Schmetterschlag von René Hecht ins Feld der Charlottenburger und von dort unerreichbar auf die Tribüne, gleichzeitig der Post TSC samt Anhang in die Höhe: 3:1 für den Außenseiter, dessen Zug in sonnigere Tabellenregionen nun ins Rollen kommen dürfte, während der letzte Zug durch Preußisch-Sibirien längst abgefahren war. Jürgen Schulz

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