: Pornoposen
Ein verblüffend naives und unterhaltsames Buch: Annie Sprinkles „Hardcore von Herzen“
In den Siebzigerjahren war sie eine der berühmtesten Pornoqueens der USA, in den Achtzigerjahren immerhin noch eine bekannte Postpornokünstlerin in New York, und in den Neunzigerjahren vernahm man außer ein paar PR-Aktionen nicht mehr viel von ihr. Da nun ihr erstes Buch auf Deutsch vorliegt, kann man sich leicht ausrechnen, dass nicht mehr allzu viel von Annie Sprinkle zu erwarten ist.
So gerät „Hardcore von Herzen“, diese Mischung aus Biografie, Autobiografie und Werkschau, zwangsläufig zur Retrospektive auf ihr Leben vor der Kamera und auf der Bühne. Erzählt wird die Geschichte einer jungen Frau, Ellen Steinberg, die in den Siebzigerjahren als Popcornverkäuferin bei einer Razzia in einem Kino, in dem gerade Gerard Damianos Pornoklassiker „Deep Throat“ läuft, verhaftet und angeklagt wird. Vor Gericht lernt sie Damiano kennen, sie verliebt sich in ihn, folgt ihm nach New York, und es dauert nicht lange, da feiert sie ihre hundertste Hauptrolle in einem Hardcore-Porno.
Schon längst heißt sie Annie Sprinkle. Schließlich beginnt sie, selbst Filme zu drehen, doch auch das fordert ihre Kreativität noch nicht genügend heraus. Sie sucht und findet den Weg zur Bühne, ihre Postporno-Performances mit Titeln wie „Schwester Sprinkles Sexunterricht“ oder „MetamorphoSex“ spielen mit dem Verhältnis des Betrachters zur visuellen Begierde. Als sie öffentlich ihre Vagina zur Schau stellt und die Zuschauer auffordert, sie zu untersuchen, ist am Ende längst nicht mehr klar, wer hier Objekt und wer hier Subjekt ist. „Hardcore von Herzen“ ist zugleich ein Buch über Sprinkle und eines von ihr. Die Herausgeberin Gabrielle Cody führt kenntnisreich (und manchmal ein bisschen distanzlos) ins Leben und Wirken Sprinkles ein. Performance-Skripte, eigene Texte und zahlreiche von Sprinkle oder Cody geführte Gespräche geben dem Buch weitere Dimensionen jenseits der bloßen Biografie einer Darstellerin. Wenn Sprinkle, die seit Jahren in einer lesbischen Beziehung lebt, sich etwa mit Mae Tyme, einer lesbischen Feministin aus der Anti-Porno-Bewegung, unterhält, dann weiß man nach der Lektüre nicht, ob nun die Gemeinsamkeiten oder die Differenzen überwiegen.
Klar wird aber, dass es sich nicht um kunstgeschmäcklerische oder proseminaristische Diskussionsübungen, sondern um unterschiedliche Formen von Gesellschaftskritik handelt. Vieles davon wirkt naiv, besonders in der Argumentation Sprinkles, aber es ist eine Naivität, die häufiger verblüfft als nervt. Das liegt hauptsächlich daran, dass Sprinkle ausgeprägten Humor besitzt, der aber nicht, wie sonst in der Branche üblich, grobschlächtig und platt ist. Am Ende jedenfalls lässt sich die Frage, ob Annie Sprinkle nun Pornografie oder Kunst oder beides gemacht hat, eindeutig beantworten: Ja. Ihre Pornokunst ist gute Unterhaltung. Und es macht Spaß, ihr Buch zu lesen.
MAIK SÖHLER
Annie Sprinkle: „Hardcore von Herzen“. Aus dem Englischen von Conny Lösch. Edition Nautilus, Hamburg 2004, 160 Seiten, 14,90 Euro