: Populistische Kriminalitätspolitik
■ betr.: „Im Zweifel immer für die Sicherheit“, taz vom 30.10. 97
Daß die geplanten Strafrechtsänderungen „den Blick auf den bisherigen Umgang mit Sexualstraftätern“ schärfen, mag zutreffen – vor allem aber schärfen sie den Blick für den jetzigen Umgang mit den Opfern: Sie werden abermals instrumentalisiert für Strafrechtsverschärfungen, die man eben nur in einer „aufgeheizten Atmosphäre“ durchsetzen kann. In der Tat zieht sich das Motto „im Zweifel für die Sicherheit“ durch die Gesetzentwürfe – Christian Raths Einschätzung, daß man dafür „wohl Verständnis haben“ müsse, ist allerdings mindestens mißverständich, wenn nicht politisch fahrlässig, denn die Kehrseite davon heißt bekanntlich „im Zweifel gegen die Täter“; daß damit den aktuellen Opfern geholfen wäre oder aber zukünftige Opfer verhindert würden, bleibt Wunschdenken...
Neben dem jetzt propagierten Sicherheitsstrafrecht nehmen sich die Überlegungen zur therapeutischen Aufrüstung wie kriminalpolitische Kosmetik aus, die vor allem der Beruhigung sozialliberaler Gewissen dient, im übrigen aber der Vorstellung folgt, man könne sogenannte „Sexualstraftäter“ zwangsweise therapieren. Dies schafft selbst der von Gesetzes wegen für diese Tätergruppe vorgesehene psychiatrische Maßregelvollzug nur ansatzweise – in diesem Zusammenhang eine Richtigstellung: Im Maßregelvollzug sitzen keinesfalls „weitere 4.300“ Sexualstraftäter, die machen vielmehr „nur“ rund 30 Prozent davon aus.
Wohin eine Kriminalpolitik (sofern die gegenwärtige hektisch-aktionistische und unverhüllt populistische Kriminalitätspolitik diesen Namen überhaupt verdient) führt, die im Namen „unserer kleinen Kim“ oder „unseren kleinen Natalie“ verübt wird, zeigt nicht zuletzt der skandalöse Umgang mit dem Instrument der Sicherungsverwahrung: Während sich die allermeisten StrafrechtswissenschaftlerInnen darin einig sind, daß die SV abgeschafft gehört, kehrt eine große Sicherheits-Koalition ohne Bedenken zur NS-Konstruktion von 1933 zurück: Unbefristete SV bereits nach dem zweiten Rückfall. Das Programm von damals hieß „Unschädlichmachen von Volksschädlingen“ und endete ohne Umschweife in der Vernichtung. Liest man die Begründungen derzeitiger Gesetzentwürfe, macht sich Entsetzen breit... Helmut Pollähne, Bielefeld
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