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■ In der Türkei gibt es immer noch keine RegierungPopanz der „islamistischen Gefahr“

Die türkische islamistische Refah-Partei sei wie die Christdemokraten Westeuropas ein „integrierter Bestandteil des weltweiten kapitalistischen Establishments“, meinte kürzlich Erdal Simsir, Chefredakteur der islamistischen Zeitung Akit. „Das haben alle begriffen, selbst die USA – nur das türkische Militär nicht.“ Der Ausschluß der Islamisten aus der nächsten Regierung durch die Parteien des „westlichen Klubs“, wie sie in der Türkei genannt werden, gibt Simsir recht. Offensichtlich kam diese Entscheidung auf Druck der Armee zustande, die sich als Sachwalter des auf den Westen orientierten Erbes Kemal Atatürks betrachtet. Der von ihr dominierte Nationale Sicherheitsrat hat noch immer das letzte Wort.

Doch Atatürks säkulare Staatsdoktrin ist schon lange ausgehöhlt. Die islamische Geistlichkeit hat längst wichtige Positionen zurückerobert, aus denen sie vertrieben worden war, vor allem im Bildungs- und Justizbereich. Die islamistische Refah-Partei war als Koalitionspartner fast aller großer Parteien in den letzten 25 Jahren fester Bestandteil des politischen Systems. Und der Islam bestimmt bei der Mehrheit der Bevölkerung immer noch den Gang des Lebens. Das aber ist noch keine Gefahr für die Demokratie.

Die beschworen erst Tansu Çiller und Mesut Yilmaz herauf, als sich die wirtschaftsliberalen Programme ihrer Parteien als untauglich erwiesen, die tiefe ökonomische Krise des Landes zu überwinden. 70 Milliarden Dollar Auslandsschulden und ein jährliches Haushaltsdefizit von sieben Milliarden Dollar trieben Millionen TürkInnen in die Armut und in die Arme von Refah, die sich mit Sozialprogrammen in den Slums profilierte. Um sich westliche Unterstützung und damit die Macht zu sichern, baute das Duo Çiller/Yilmaz die Refah-Partei zum Popanz einer „islamistischen Gefahr“ auf.

Der jetzige Ausschluß Refahs von der Macht wird die türkische Gesellschaft polarisieren. Nachdem sich die Aufgabe aller „islamischer“ Forderungen durch Parteichef Erbakan als Gegenleistung für Kabinettsposten als vergeblich erwies, wird die islamistische Strömung nun wirklich Aufwind erhalten. Bei den nächsten Wahlen, die jetzt ins Haus stehen, kann sich eine radikalisierte Refah wieder als (bisher ungetestete) Alternative und zudem mit dem Märtyrerimage des Politparias präsentieren. Das wird ihren Stimmenanteil weiter steigern, und dann geht ohne die Islamisten gar nichts mehr. Thomas Ruttig

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