Polizeiaffäre um rechte Chats in NRW: „Das Ende noch nicht erreicht“

Wegen Verdacht auf Rechtsextremismus werden zwei Polizeibeamte in NRW suspendiert. Das Innenministerium zählt 104 Vorfälle seit 2017.

Herbt Reul auf einer Pressekonferenz im August in NRW.

Ein Ende der Polizei-Affäre in Sicht? Für Herbert Reul bisher nicht Foto: Marius Becker/dpa

DÜSSELDORF/BERLIN taz | Herbert Reul nahm die Sache vorweg. „Ich befürchte, dass wir bei diesem Thema das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht haben“, sagte der Innenminister am Donnerstag im Innenausschuss des Landtags Nordrhein-Westfalen. Und die Zahlen, die der CDU-Mann darauf präsentierte, gaben ihm recht.

Erst vor einer Woche hatte Reul die Suspendierung von 30 NRW-PolizistInnen bekanntgemacht, die Mitglieder von rechtsextremen Whatsapp-Chatgruppen waren, teils schon seit 2012. Fast alle Beschuldigten kamen aus dem Polizeipräsidium Essen und der dortigen Dienstgruppe Mülheim. 14 von ihnen sollen aus dem Dienst entfernt werden.

Am Donnerstag nun verkündete Reul eine weitere Suspendierung in dem Fall, diesmal ein Mann aus einer anderen Region. Es sei „jemand von woanders, der mitgechattet hat“, so der Innenminister. Zudem wurde am gleichen Tag ein weiterer Beamte aus Essen suspendiert, ohne Zusammenhang zu den Chatgruppen, aber ebenfalls wegen des Vorwurfs des Rechtsextremismus. Die Polizei-Affäre in Nordrhein-Westfalen zieht damit immer größere Kreise.

Zur Essener Polizei hatte es bereits seit Monaten Beschwerden gegeben, Betroffene kritisierten rassistische Übergriffe. Reul wies am Donnerstag einen Zusammenhang zurück: Hier gebe es bisher keine bekannten Überschneidungen zu PolizistInnen aus den Chatgruppen.

Neue Hinweise nach Auffliegen der Chatgruppen

Der Innenminister berichtete aber von 16 internen Hinweisen auf weitere rechtsextreme Vorfälle in der NRW-Polizei seit den Suspendierungen vor einer Woche. Zudem sei eine „niedrige zweistellige“ Zahl an Hinweisen aus der Bevölkerung erfolgt. Allen werde „intensiv nachgegangen“. Reul hatte bereits am Mittwoch in einer Email alle 56.000 Beschäftigten der Landespolizei angeschrieben und dazu aufgerufen, strafrechtlich relevante Inhalte von KollegInnen zu melden.

Einem Hinweis wurde bereits zuvor nachgegangen. Reul machte bekannt, dass fünf NRW-Beamte auch in dem inzwischen geschlossenen Polizei-Chatforum „net4cops“ mit rechten Äußerungen auffielen. Gleiches betreffe vier PolizistInnen aus anderen Bundesländern. Diese seien mit Äußerungen zu „Lügenpresse“, „Islamkritik“ oder „kriminellen Ausländer“ aufgefallen. Strafrechtlich sind die Äußerungen laut Reul nicht relevant, womöglich aber disziplinarrechtlich. Bei „net4cops“ war eine Anmeldung nur mit Dienstadresse möglich, das Forum hatte zuletzt 770 Mitglieder.

Die aktuellen Vorfälle sind indes keine Einzelfälle, wie Reul am Donnerstag ebenfalls einräumen musste. Denn seit Anfang 2017 zählt sein Ministerium genau 100 rechtsextreme Verdachtsfälle in der Polizei NRW, inklusive der aktuellen Chat-Vorgänge. Gezählt wurden nur Vorfälle, die Disziplinarverfahren auslösten. 71 der Verfahren laufen noch. Bei den 29 bereits abgeschlossenen Verfahren wurden in acht Fällen disziplinar- oder arbeitsrechtliche Maßnahmen verhängt. Die anderen 21 Verfahren endeten ohne Maßnahmen – weil sich der Verdacht nicht erhärtete oder die Vorgänge verjährt waren.

Dazu kommen vier rechtsextreme Verdachtsfälle auch in Reuls eigenem Ministerium, die Verwaltungs- oder Polizeivollzugsbeamte betreffen. In drei der Fälle laufen noch Disziplinarverfahren, das vierte wurde mit damit abgeschlossen, dass eine Disziplinarmaßnahme verhängt wurde.

Reul unter Druck

Reul bekräftige, dass Extremisten in der Polizei nichts zu suchen hätten. Die „menschenverachtenden“ Chatbilder seien „der Nährboden für Hass und Ausgrenzung in unserer Gesellschaft“, so der CDU-Mann. „Das will und werde ich nicht zulassen.“ Dass nun neue Hinweise kämen sei Resultat einer „guten Aufmerksamkeit“, sagte Reul. „Weil Bürgerinnen und Bürger, aber auch Polizistinnen und Polizisten jetzt für das Thema sensibilisiert werden.“ Gleichzeitig bekräftigte er: „Die überwältigende Mehrheit der Beschäftigten der Polizei in unserem Land stehen auf der richtigen Seite.“

Die Opposition warf Reul dagegen ein zu spätes Vorgehen gegen die Umtriebe vor. Verena Schäffer, Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin in NRW, zeigte sich über die 104 Verdachtsfälle „erschüttert“. „Nach Bekanntwerden dieser Zahl kann Herr Reul sich nicht mehr mit der Entschuldigung wegducken, er hätte die Dimension des Problems unterschätzt“, sagte Schäffer der taz. „Herr Reul hätte längst mit Maßnahmen reagieren müssen.“

Die Grünen fordern, ebenso wie SPD und Linke, eine Studie zur politischen Einstellungen von Polizisten. Sie wollen außerdem einen unabhängigen Polizeibeauftragten für NRW, angesiedelt am Landtag. Beides lehnt Reul bisher ab. Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hält nichts von einer Polizeistudie und Polizeibeauftragten.

Derzeit stellt auch das Bundesamt für Verfassungsschutz ein Lagebild zu extremistischen Vorfällen in den Sicherheitsbehörden zusammen. Erfasst wurden Fälle von Anfang 2017 bis Ende März 2020. Anfang Oktober soll der Bericht präsentiert werden. Über die Zahlen herrscht noch Stillschweigen. Reul gab aber nun an, dass NRW hier 43 Fälle dem Bundesamt meldete – wieder nur solche, die dienst- und arbeitsrechtliche Maßnahmen nach sich zogen.

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