Polizei vertreibt Bettler aus Innenstadt: Wer betteln will, muss stehen
Betteln im Sitzen ist in der Hamburger City verboten. Die Polizei hat das Vertreiben sitzender Bettler verstärkt, weil Händler sich beschwerten.
„Seit Ende Februar schon berichten uns Obdachlose, dass die Polizei ihnen gegenüber ein ‚Bettelverbot‘ ausspricht“, bestätigt Jörn Sturm, der Geschäftsführer von Hinz&Kunzt. Die Polizei fordere Leute auf, den Platz zu verlassen, die sich mit ihren Sachen auf dem Gehweg niedergelassen haben. Als Begründung käme der Hinweis, es gebe ein neues Gesetz. „Das gibt es aber gar nicht“, sagt Sturm.
Erst auf mehrfache Nachfrage des Magazins hatte die Polizei eingeräumt, dass die in der Innenstadt tätigen Beamten zuletzt noch einmal für Maßnahmen zur Erhaltung der Sicherheit und Ordnung „sensibilisiert“ wurden. Woraufhin die Linke eine Anfrage stellte, wieso Betteln ein Problem der Sicherheit sei? Und was diese „Sensibilisierung“ erfordere?
Der rot-grüne Senat antwortete, dass Betteln auf öffentlichen Wegen zwar zulässig sei, handele es sich nur um ein „Ansprechen“ mit der „Bitte um Spenden“, unzulässig sei „Liegen und Lagern“, ebenso „Sitzen außerhalb der dafür vorgesehenen Bereiche“ und Campieren mit Sachen.
Obdachlosigkeit soll Bürger wenig belasten
Das für die Innenstadt zuständige Polizeikommissariat 14 habe bereits im Herbst auf gehäufte Beschwerden von Bürgern, Händlern und Wirtschaftsverbänden reagiert. Diese hätten die „Begleiterscheinungen“ der Obdachlosigkeit problematisiert, wie Personen, die erheblich alkoholisiert wirken, und ein erhöhtes Aufkommen von Unrat und Exkrementen. Zu den Aufgaben der Polizei, so der Senat, gehöre es, die negativen Wirkungen von Obdachlosigkeit „für alle Beteiligten“ so „gering wie möglich zu halten“.
In der Tat hatte das „City-Management Hamburg“, das ist ein Netzwerk von rund 850 Unternehmen, Beschwerden erhalten und dies in Gesprächsrunden mit der Stadt artikuliert. Sie habe viele Mails von Kunden erhalten, sagt Geschäftsführerin Brigitte Engler.
Dabei ginge es um Obdachlose, die nicht in der Lage seien, sich um sich zu kümmern, und organisierte Bettler, die morgens gebracht würden. „Die normale Obdachlosigkeit stellt niemand infrage“, sagt Engler. Es gebe aber in der Innenstadt eine große Anzahl von Randständigen, darunter viele Drogenabhängige. Vor zwei Monaten hätten die Beschwerden den Höhepunkt erreicht. „Momentan ist die Situation scheinbar entspannter.“
Jörm Sturm ist indes besorgt, weil die Aktionen der Polizei die Sozialarbeit erschwert. „Was wir von den Straßensozialarbeitern hören, ist eine extrem ungute Situation. Das ist nicht aufsuchende, sondern suchende Arbeit.“ Die Sozialarbeiter würden nun als Teil des Staates gesehen und gemieden.
Verschiedene Gründe zu betteln
Die Menschen bettelten aus unterschiedliche Gründen. „Etwa die Hälfte der Obdachlosen hat keinen Anspruch auf Sozialleistungen“, sagt Sturm. Das seien Menschen aus Osteuropa, die einst ihr Glück im „goldenen Westen“ suchten und weder hier noch in der Heimat abgesichert seien.
Nicht immer obdachlos, aber auch auf Geld angewiesen seien Drogenabhängige, die ihren Konsum finanzieren müssen. Daneben kämen aus Ländern wie Rumänien und Bulgarien sehr Arme zu uns, die nicht dauerhaft hier bleiben wollten und guckten, welche Option die beste Einkommenschance biete. „Betteln darf man.“
Sturm findet es zynisch, wenn die Stadt von negativen Auswirkungen von Obdachlosigkeit „für alle“ schreibt. Die Polizei sollte die Vertreibung sofort beenden, „weil das keinem Obdachlosen hilft“. Darin unterstützt Diakonie-Pastor Dirk Ahrens. „Ja, bettelnde Menschen konfrontieren uns direkt mit der Armut“, sagt er. „Aber was unangenehm ist oder stört, gehört noch lange nicht verboten.“ Die Menschen verlören ihren Lebensmittelpunkt.
Mehr Hilfe für Drogengebrauchende nötig
„Es ist nicht richtig, wenn erhöhter Druck auf Bettler ausgeübt wird“, sagt auch der Linken-Politiker Deniz Celik. „Wo sollen die denn hin?“ Die Linke konstatiert, dass sich die Lage rund um den Hauptbahnhof für obdachlose Menschen, die Drogen gebrauchen, verschlimmert hat, und fordert deshalb „konsumtolerante“ Unterstützungsangebote wie eine Tagesaufenthaltsstätte.
Die Polizei bestätigt übrigens den Einsatz am Dom. Schausteller hätten von zwei Bettlern berichtet, die den Gehweg beschmiert hätten, so ein Sprecher. Der Verdacht, dass die auch ein Fahrzeug beschmiert hätten, habe sich aber „nicht bestätigt“. Da die Bettler respektlos aufgetreten seien und man weitere Konflikte mit den Schaustellern verhindern wollte, hätten die Bettler Platzverweise erhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“