: Polizei kann nicht mehr
■ Ohne neue Autos und ohne Benzin wird die Polizei handlungsunfähig / „Notruf“ der Leiter
Von Gröpeligen bis Huchting, von Kattenturm bis Horn, von Vegesack bis Hemelingen lehnen die „Leiter der Polizeireviere“ die „Verantwortung ... für die inere Sicherheit unser Bürgerinnen und Bürger in den Stadtteilen“ ab. Dies gaben sie gestern in einem „Offenen Brief“, adressiert an den Senat, schriftlich bekannt. Mitunterschrieben haben auch die Leiter der Diensthundeführer und des Polizeigewahrsams.
Hintergrund der gemeinsamen Aktion von 23 polizeilichen Abteilungsleitern sind die „unzumutbaren Sparmaßnahmen“. Im laufenden Etat 1994 sollen 5,9 Millionen gespart werden, 3,7 im kommenden Jahr. In dem Offenen Brief heißt es: „Zum ersten Mal in der Geschichte Bremens wenden sich die Dienststellenleiter der Polizei mit einem Notruf direkt an den Senat.“ Der Text listet einige der Mängel der Ausstattung auf:
–„Der motorisierte Funkstreifendienst wird nahezu eingestellt“,
–„nur noch schwerwiegende Einsätze werden wahrgenommen; der Bürger wird oft alleingelassen“,
–die „angebliche Verstärkung durch Fuß - und Fahrradstreifen ist eine Mogelpackung“: An der Wache müsse ständig „eine Wagenbesetzung bereitgehalten werden“.
–„Bei Einsatzlagen müssen z.T. total überalterte und reperaturanfällige Funkstreifenwagen eingesetzt werden“. Die Liste ließe sich „beliebig fortführen“, schreiben die Dienststellenleiter.
Merve Pagenhardt, die Sprecherin des Innensenators, reagierte gelassen auf diesen Brief. Im März, erinnerte sie, habe der Innensenator - der nach einem Herzinfarkt derzeit noch im Krankenhaus liegt - im Senat eine scharfe Protokollnotiz abgegeben, nach der mit dem gekürzten Polizei-Etat 1995 die Sicherheit nicht gewährleistet werden könne. Das sei „von der Intention dasselbe“ gewesen. Die Innendeputation habe diese Position jüngst unterstrichen. Nun sei es am Senat, zu entscheiden, „welche Konsequenzen er ziehen will“.
Von der Form her lehnt das Innenressort den Alleingang der Polizeileiter an die Öffentlichkeit „am Polizeipräsidenten vorbei“ natürlich ab. Der Polizeipräsident ist in Urlaub - offenbar haben sich die Leiter diesen Zeitpunkt für ihre Aktion gezielt ausgesucht. „Als Beamte können die polizeilichen Leiter die Verantwortung für ihre Aufgabe überhaupt nicht ablehnen“, erklärte Pagenhardt. In der Form sei der Offene Brief „indiskutabel“, weil er das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung schwäche. Gerade auf diesen Aspekt des subjektiven Sicherheitsgefühls hatte Innensenator van Nispen immer großen Wert gelegt.
Der stellvertretende Politzeipräsident, Albert Lohse, nahm gestern zu den einzelnen Punkten aus der Liste seiner polizeilichen Leiter Stellung und behauptete, die Kritik entspreche „in wesentlichen Punkten nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Natürlich komme es bei der Polizei zu „starken Einschränkungen“ aufgrund der Sparmaßnahmen, die derzeitigen internen Maßnahmen führten aber nicht dazu, daß der Funkstreifendienst nahezu eingestellt werden müsse. Die Kilometer-Leistung der polizeilichen Leerfahrten soll tatsächlich um 30 Prozent reduziert werden: Es entspricht dem „subjektiven“ Sicherheitskonzept, daß die Bevölkerung die Streifen hautnah zu Fuß oder per Fahrrad zu sehen bekommt anstatt im Auto hin- und herfahrend.
„Gemeinsam mit dem Senator für Inneres ist der Polizeipräsident bemüht, die Sparzwänge zu mildern, um weitergehende Handlungsspielräume zu gewinnen“, räumt der Stellvertreter dann unter gewisser Umkehrung der Verantwortlichkeiten doch ein. Denn „derzeit sind notwendige Investitionen kaum noch möglich.“
Dienstrechtliche Konsequenzen haben die polizeilichen Leiter für ihr Spiel mit dem subjektiven Sicherheitsgefühl nicht zu befürchten. Der stellvertretende Polizeipräsident beschließt seine Antwort mit der lapidaren feststellung: „Der Offene Brief an den Senat ist überflüssig.“
K.W.
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