piwik no script img

Polizei befreit entführte Russen

■ Aus der GUS eingereiste Kidnapper kapern vier Landsleute Großteil des Lösegelds von 295.000 Mark bleibt verschwunden

Berlin. Mit einem filmreifen Einsatz eines Polizei-Spezialkommandos ging in der Nacht zum Dienstag eine Entführungsgeschichte zu Ende. Unter der Leitung von Georg Samulowski vom Bereich Schwerstkriminalität stürmten schwerbewaffnete Beamte ein Zimmer im Hotel Unter den Linden, befreiten ein russisches Ehepaar und nahmen zwei der Täter, ebenfalls Russen, an Ort und Stelle fest. „Wir fielen mit der Tür ins Zimmer“, berichtete Samulowski gestern auf einer blitzschnell von Polizeipräsident Saberschinsky angesetzten Pressekonferenz. Vier weitere Entführer, sämtlich aus der GUS, gingen der Polizei wenige Stunden später ins Netz, sie waren nichtsahnend ins Hotel spaziert. Bei der ganzen Aktion wurde niemand verletzt, obwohl die Entführer mit „ordentlichen Pistolen“ ausgestattet waren und die Polizei zeitweilig bis zu 200 Beamte im Einsatz hatte. Der Ablauf des Kidnappings deute auf Organisierte Kriminalität, sagte Saberschinsky. Die Entführer seien von einem unbekannten Russen angeheuert worden und eigens zu diesem Zweck nach Berlin gereist.

Opfer der gewaltsamen Entführung, die bereits am Samstag stattfand, wurden der 27jährige Leonid M., seine Ehefrau, die Schwester und eine Freundin der Familie. Die Täter zwangen die schon seit Jahren in Berlin lebenden vier Russen mit vorgehaltener Pistole in das Auto von Leonid (Mercedes 300 mit Telefon) und fuhren anschließend mit ihnen stundenlang in der Stadt herum. Die 17jährige Milena G. wurde am Sonntag freigelassen, um den Eltern von Leonid, die in Berlin mehrere Spielsalons besitzen, eine exorbitante Lösegeldforderung zu überbringen. Die Täter wollten zwei Millionen Mark, eine Summe, die später auf eine Million heruntergehandelt wurde. Gegen eine Anfangszahlung von 45.000 Mark sollte Leonids Schwester freikommen. Dieses Geld wurde den Kidnappern tatsächlich und unter den Augen der Polizei, die die Szene mit Einverständnis der Eltern „observierte“, am Krematorium Wilmersdorf übergeben.

In der Gewalt der Entführer blieb ab Sonntag nur noch das Ehepaar. Weitere 250.000 Mark zahlten die Spielbankbesitzer für das Versprechen, auch die Schwiegertochter zu entlassen. Die Kidnapper kassierten am Montag nachmittag, ohne sich aber an die Abmachung zu halten. Sie forderten 800.000 Mark „Nachzahlung“.

Wie der Polizeipräsident berichtete, sei es dann „durch intensive Fahndungsmaßnahmen“ gelungen, den Aufenthaltsort der Opfer festzustellen. Auf Nachfrage räumte er allerdings ein, daß man die Beteiligten von Anfang an im Visier hatte. Nach der Reality- TV-reifen Stürmung des Hotelzimmers habe man von den insgesamt gezahlten 295.000 Mark, nur 50.000 sicherstellen können. „Der große Rest ist spurlos verschwunden“, sagte Saberschinsky. Einen Zusammenhang mit den im Sommer bekanntgewordenen Erpressungen im Spielbankmilieu will der Polizeipräsident nicht ausschließen. Den Ermittlungen nach sind die Eltern von Leonid bisher noch nicht Opfer der Mafia gewesen. Anita Kugler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen