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Polizei: Versuchter Mord an Beamtin

■ Polizistin am Abend des 3. Oktober »schwer verletzt«/ Polizeipräsident greift behandelnde Ärztin an/ Chefarzt weist Vorwürfe entschieden zurück

Berlin. Bei den Krawallen am Abend des 3. Oktober ist eine 23jährige Polizistin am Alexanderplatz von einem jungen Mann nach Angaben der Polizei »schwer verletzt« worden. Wie Polizeipräsident Schertz gestern auf einer Pressekonferenz mitteilte, hat eine Mordkommission der Kripo die Ermittlungen aufgenommen. Der Staatsanwalt hat bereits Anklage wegen versuchten Mordes erhoben. Die Polizei führte gestern umfangreiches Videomaterial vor, auf dem der Tathergang festgehalten ist. Die Aufnahmen wurden zum einen von einer am Alex fest installierten »Stasi-Kamera« und zum anderen von einem Filmteam von RIASTV gemacht.

Der Täter schlug mit einer etwa 1,80 Meter langen Eisenstange auf die Beamtin ein, als diese gerade in den Einsatzwagen einsteigen wollte. Ihre Einsatzbereitschaftsgruppe war kurz zuvor vor Steinewerfern geflüchtet. Die meisten Polizisten waren bereits in den Mannschaftswagen zurückgekehrt, als sich der Vorfall ereignete. Nur noch die junge Polizistin und einige wenige Kollegen standen außerhalb des Fahrzeuges. Der Täter kam auf die 23jährige Frau, die Helm und Schutzschild trug, zugerannt, holte während des Laufens mit der Stange aus, zielte und traf sie mit voller Wucht am Oberkörper. Der Hausarzt der Betroffenen diagnostizierte am nächsten Tag eine »schwere Gehirnerschütterung, Prellungen und einen Kapselriß am Ellenbogen«. Am Abend vorher war die Verletzte in das Spandauer Waldkrankenhaus eingeliefert worden.

Schertz erhob gestern schwere Vorwürfe gegen die dort zuständige Ärztin. Sie habe die Beamtin mit den Worten: »Ich mag keine Polizisten!« begrüßt und die Frau nach einer »völlig unzureichenden Untersuchung« mit drei Kopfschmerztabletten nach Hause entlassen. Der Chef der chirurgischen Abteilung, Dr. Lüdtke- Handjery, wies die Kritik gestern entschieden zurück. Gegenüber der taz erklärte er, daß »zu keinem Zeitpunkt auch nur der Verdacht einer Gehirnerschütterung« bestanden hätte.

Weder der Notarzt noch die Ärztin seines Krankenhauses hätten die dafür typischen Symptome — Bewußtlosigkeit, Erinnerungslücken, Kopfschmerzen und Erbrechen — bei der Patientin festgestellt. Sie habe lediglich über Schmerzen im Ellbogen geklagt und sei »sehr ängstlich und verschreckt« gewesen. Man habe ihr dann einen Verband angelegt und sie nach Hause entlassen. Zu der angeblichen Äußerung der Ärztin erklärte Lüdtke-Handjery wörtlich: »Das halte ich für ziemlich ausgeschlossen.« Er kenne die Ärztin sehr gut und glaube ihr, wenn sie beteuere, daß sie das nicht gesagt habe.

Die Polizistin wird zur Zeit in einem anderen Berliner Krankenhaus stationär behandelt. Wie die taz erfuhr, ist es normalerweise unüblich, Patienten wegen eines Kapselrisses im Krankenhaus zu behalten. Viele Krankenhäuser behandeln sogar Armbrüche nur ambulant, weil die Krankenkassen aus Kostengründen darauf bestehen. Ein Kapselriß sei aber jedoch »bei weitem nicht so dramatisch wie ein Knochenbruch«, meinte ein von der taz befragter Arzt weiter.

Schertz hatte die Tatsache, daß der Vorfall erst jetzt öffentlich gemacht wurde, mit der »falschen Diagnose des Spandauer Waldkrankenhauses« begründet. Dadurch sei »viel Zeit verstrichen«. Der Geschäftsführer der Berliner CDU bezeichnete den Vorfall als »unübersehbares Zeichen der Verwilderung des Rechtsbewußtseins in Teilen unserer Bevölkerung« und griff sowohl den Senat als auch das Spandauer Krankenhaus scharf an. Hier räche sich die »ständige Verharmlosung der Kriminalität sowie der Abbau des Verfassungsschutzes und der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft durch AL und SPD«. Die betreffende Ärztin habe in ihrem Beruf »nichts zu suchen«. Innensenator Pätzold, wies die Vorwürfe der CDU zurück. Es sei wenig hilfreich für die Fahndungsarbeit der Polizei, wenn Landowsky aus dem Vorgang eine Wahlkampf-Show mache. Pätzold hat die Beamtin gestern besucht und wertete »den Angriff auf die Polizistin« als »sehr schlimmen Vorgang«. Für Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führen, hat Polizeipräsident Schertz gestern 5.000 DM Belohnung ausgesetzt. Claus Christian Malzahn

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