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Politpoesie

■ betr.: „Die Zukunft strahlt radies chenrot“, taz vom 18. 8. 98

Radieschen – außen rot, innen weiß. Hybridsorte, wässrig aufgeschwemmt, just in time auf Kunstboden unterm Glasdach gezogen. Wer Affirmation bestellt, kriegt Schund geliefert. Das Gegenteil von Kunst, so Gottfried Benn, ist gut gemeint. Vielleicht gilt das auch für die Politik. Die Jusos haben es mit ihrem Liederwettbewerb gut gemeint.

Das Dilemma mit der Politpoesie hat übrigens Tradition in der SPD. In ihrer Gründerzeit (und noch bis in die Weimarer

Republik) dichteten hohe und niedere Funktionäre revolutionäre Maischauspiele und Parteimarseillaisen en masse entlang der tagespolitischen Erfordernisse. Die „Kampf- und Festlieder“, affirmatives Zeug im Vokabular von Freiligrath, Herwegh und Paul Gerhard, meist sowohl ideologisch als auch poetisch grauenhafter Mist, wurden massenhaft in Liederbüchern verbreitet und haben sicher ihren Anteil daran, daß in wichtigen politischen Situationen Denk- und Sprachvermögen der Sozis vaterländisch-kleinbürgerlich verkleistert war. Dolf Straub, Juso-Vorsitzender

1972/73, Magisterarbeit über

Partei- und Arbeiterlieder 1969

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