: „Politisch ist das allemal“
Für den Leiter des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums, Julius H. Schoeps, war der Anschlag auf den Jüdischen Friedhof in der brandenburgischen Landeshauptstadt absehbar. Medienberichte motivierten Trittbrettfahrer, glaubt der Historiker
taz: In einer ersten Reaktion auf den Anschlag in Ihrer Heimatstadt Potsdam haben Sie gesagt, die Tat sei eigentlich absehbar gewesen. Warum?
Julius H. Schoeps: Wahrscheinlich ist der Anschlag hier in Potsdam eine Reaktion auf die Anti-Rassismus-Demonstration in Cottbus vor einigen Tagen. Die Schändungen steigen immer dann sprunghaft an, wenn ein Medienereignis eine solche Tat für Rechtsradikale sinnvoll erscheinen lässt – etwa nach der Ausstrahlung von Fernsehfilmen wie „Holocaust“. Damals kam es zu einer Reihe von Schändungen.
Sie haben vorgeschlagen, nicht über alle Schändungen zu berichten. Würde dann nicht der Vorwurf laut, man verschweige die Vorfälle?
Die Medien sollten ja weiter darüber berichten, aber nicht mehr über jeden Fall in jedem kleinen Dorf. Das, so scheint es mir, motiviert nur die Trittbrettfahrer. Man sollte sich auf die spektakulären Fälle, etwa hier in Potsdam, konzentrieren. Es wäre am besten, die Berichterstattung erfolgte erst, wenn die Täter gefasst sind und vor Gericht stehen. Das würde abschrecken.
Was weiß man überhaupt von Friedhofsschändern?
Meist sind es junge Leute. Es reichen in einem Dorf 10 bis 15, die der rechten Hardcoreszene angehören. Ihre Taten werden jedoch oft von der Polizei als unpolitisch eingestuft, weil die Täter keiner festen Neonazi-Organisation angehören.
Was treibt diese Leute zu solchen Taten?
Man will sich abreagieren. Da werden Grabsteine herausgerissen – nicht nur bloß Blumenrabbatten zertrampelt. Politisch ist das allemal. Grabsteine, die mit Parolen wie „Juda verrecke“ beschmiert sind, sind eindeutig.
Friedhofsschändungen haben Tradition in Deutschland, sagt eine Studie des von Ihnen geleiteten Moses Mendelssohn Zentrums. Woran machen Sie das fest?
Solche Anschläge gab es schon in der Weimarer Republik. Damals waren es ein paar hundert. Seit 1945 sind 1.000 Fälle dokumentiert – und in Wirklichkeit sind es wohl 2.000 bis 3.000. Die Dunkelziffer ist sehr hoch.
Wie Ihre Studie ergeben hat, ist die Zahl der Schändungen seit der Wiedervereinigung überproportional gestiegen. Warum?
Offenbar haben viele das Gefühl, seit der staatlichen Vereinigung könne man sich wieder deutschtümelnd verhalten. Und dazu gehört bei vielen, sich auch antisemitisch zu gebärden.
INTERVIEW: PHILIPP GESSLER
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