: Politik aus dem Pornoladen
■ Theater heute?: Die Peter-Weiss-Tage endeten mit einer erinnerungsgesättigten Plauderei der leiblichen und ideelen Brecht- und Weiss-Erben über die Frustrationen und Hoffnungen der Nachkriegszeit
Das Versprechen war groß – und wurde nicht gehalten. Zum Glück. Statt wie angekündigt über „Politisches Theater heute“zu debattieren und sich in ödendem Definitionswirrwarr – was ist Kunst, was Politik? – zu verlieren, suchte man viel lieber in der Vergangenheit jenes goldene Dreieck, das die gemeine Wirklichkeit zum Verschwinden bringt: Brecht, Piscator, Weiss firmierten als dessen Eckpunkte. Schließlich waren ausgewiesene Kenner der großen Alten zugegen, Brechtenkelin Johanna Schall, Weiss-Witwe Gunilla Palmstierna und der Rektor der Ostberliner Ernst Busch Schauspielschule Klaus Völker. So konnte dem unvermeidlichen Satz Ich-finde-Sie-fassen-den-Begriff-desPolitischen -zu-eng elegant ausgewichen werden. Dafür erfuhr ein zahlreiches Publikum Interessantes über die drei Gurus. Zum Beispiel, daß Erwin Piscator mit seiner Konzeption des Theaters als „dramatische oder dialogisierte Tageszeitung“mit klarer klassenkämpferischer Botschaft seine Schwierigkeiten mit dem kunstbewußteren Brecht hatte; erst nach dessen Tod wagte er es, seine ersten Brechts zu inszenieren.
Mit der nicht ganz unproblematischen Form eines Vergleichs zwischen Brecht und Weiss gelang es dem Dramaturgen Joachim Lux nette Bemerkungen aus Gunila Palmstierna-Weiss über ihren Mann herauszukitzeln. „Peter ist im Vergleich zu Brecht erst sehr spät drangekommen. So war er ganz naiv immer froh, einfach aufgeführt zu werden.“Dann erzählt sie – gelassen, ohne späten Triumph – von der Zurückweisung des Marat/Sades durch – ? – durch Ingmar Bergman. Ignoranz bringt oft Vorteile mit sich: zum Beispiel, daß dieser Klassiker so in Berlin uraufgeführt wurde. „Ganz anders als hier in Bremen.“Als Frau, die sich immer in reflektierten linken Kreisen bewegte, ist Palmstierna der historisierende, relativierende, abwägende Blick zur zweiten Natur geworden. Und so schätzt sie die „ganz andere“symbolisch aufgeladene, oft von katholischen Bildern aus denkende, „polnische“Art der Inszenierung Andrej Worons durchaus.
Weiss, erzählt sie, hat seinen – bis in die 50er Jahre verbotenen – de Sade aus einem kleinen Pariser Pornoladen herausgefischt. De Sade hatte offensichtlich für Weiss nicht nur politische Relevanz, sondern auch persönliche Folgen. Und zwar negative: „De Sade hat ihm unglaubliche Angst verursacht, das Gefühl vermittelt: Ich gehöre nirgends dazu.“Allerdings warnt Palmstierna aus den Notizbüchern ihres Mannes eine durch und durch zerrissene Person herauszulesen. Denn die normale Befindlichkeit findet in Tagebücher selten Eingang. „Daneben existierte auch ein Peter ganz fröhlich, heiter, dumm – mit unheimlich vielen Liebesgeschichten.“Weiss war am Weltende Stockholm zwar vom Intellektuellendiskurs in Berlin und Paris weit entfernt, aber über diese Abgeschiedenheit hinweg rettete ihn „die Treuheit an sich selbst“.
Die zarten Annäherungen der Diskutanten an das heutige Theatergeschehen bemühten sich vor allem um eine Einschätzung der herrschende Bilderradikalität – mit verblüffendem Ergebnis. Johanna Schall mißtraut der Bilderflut und deutet sie als Ausdruck der Skepsis gegenüber Wort und politischer Meinung. Am Ende war man mit der Umwertung der Werte soweit, daß man in der Drastik eines Castorfs eine neue Form der Bequemlichkeit erkannte. „Er ist sehr angenehm, aber alles und jedes in die Pfanne zu hauen ist auch nur zynisch, nichts weiter.“Irgendwie überzeugend. bk
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