piwik no script img

Polens mißtrauische Nachbarn

■ Jaruzelski: Machtübernahme der Solidarnosc würde DDR, CSSR und Sowjetunion „mißtrauisch“ machen

Warschau (ap/afp) - Der polnische Staatspräsident General Wojciech Jaruzelski lehnt es ab, der Opposition die Regierungsverantwortung zu übertragen, da dies das Mißtrauen der Nachbarstaaten wecken würde. Das berichtete am Mittwoch nachmittag der stellvertretende Senatspräsident und Vorsitzende der Bauerngewerkschaft „Landsolidarität“, Jozef Slisz, in einer Sitzung der Fraktion der von Solidarnosc getragenen Oppositionsabgeordneten in Kammer und Senat. Jaruzelski habe am Dienstag ausdrücklich die DDR, die Tschechoslowakei und die Sowjetunion erwähnt.

Jaruzelski hatte der „Solidarität“ den Posten eines stellvertretenden Ministerpräsidenten angeboten, der gleichzeitig für Wirtschaft verantwortlich sein sollte, sowie die Ministerien für die Bereiche Gesundheit, Bauwesen, Umweltschutz, Industrie, Soziales und Arbeit. Nachdem Walesa dieses Angebot abgelehnt hatte, schlug Jaruzelski vor, für alle großen Ministerien einen Vizepräsidenten aus den Reihen der Opposition zu benennen. Walesa verweigerte auch dieses Angebot und stellte Jaruzelski seinerseits vor die Alternative, daß die „Solidarität“ entweder die Regierung ausschließlich bilde oder ein Schattenkabinett nach britischem Vorbild formieren werde.

Jaruzelski habe seine Skepsis gegenüber einer Regierungsbildung durch die Opposition auch damit begründet, daß er fragte, wie die Opposition denn die Macht des von der kommunistischen Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) beherrschten Regierungs- und Verwaltungsapparats brechen wolle, sagte Slisz. Der Staatspräsident habe erklärt, mit Rücksicht auf die Bauernpartei sei es nicht möglich, der Opposition das Landwirtschaftsministerium zu überlassen. Auch das Innen- und Verteidigungsministerium kämen nicht in Frage, da diese Ressorts in den sozialistischen Ländern traditionsgemäß mit Generalen besetzt seien.

Die Fraktion der Solidarnosc in Senat und Parlament, der Parlamentarische Bürgerklub stimmte der Position Walesas am Mittwoch per Handzeichen mit vier Gegenstimmen zu.

Der Fraktionsvorsitzende des Bürgerklubs in der Abgeordnetenkammer, Bronislaw Geremek, trug mehrere Punkte eines Programms der Opposition vor. Am dringlichsten sei, daß sie mehr Zugang zu den Massenmedien bekomme. Ferner müsse rasch mit einer Reform des Justizwesens begonnen werden. Ins Leben zu rufen seien eine Sonderkommission des Parlaments zur Überwachung der wirtschaftlichen Tätigkeit der Regierung sowie eine von der Opposition geleitete Dienststelle zur Beaufsichtigung der Auslandsinvestitionen in Polen, sagte Geremek.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen