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Polens Regierung abgesegnet

■ Sejm demonstriert Einmütigkeit / Mazowiecki bittet Gewerkschaften um Unterstützung für Reformen

Warschau (afp/ap) - Gestern hat das polnische Parlament in offener Abstimmung die von Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki vorgelegte Kabinettsliste ohne Gegenstimme bestätigt. Lediglich 13 der insgesamt 415 Abgeordneten enthielten sich der Stimme. Zuvor hatten die polnischen Kommunisten der neuen Regierung ihre „volle Unterstützung“ zugesagt. Ihr Fraktionssprecher Marian Orzechowski meinte nach Vorstellung des Regierungsprogramms: „Meine Partei bietet ihre ganze Unterstützung an und erklärt der Regierung unter Mazowiecki ihre Loyalität, dessen Erneuerungsprogramm sie begrüßt.“

Im Vorfeld der Abstimmung hatte es noch am Montag Unstimmigkeiten zwischen dem neuen Ministerpräsidenten und den Parlamentsausschüssen gegeben, die mit der Anhörung der zukünftigen Minister betraut waren. Drei der von Mazowiecki nominierten Kandidaten wurden von den Ausschüssen abgelehnt. Durchgefallen war unter anderem der designierte stellvertretende Ministerpräsident und Landwirtschaftsminister Czeslaw Janicki von der Vereinigten Bauernpartei (ZSL). Bereits vorgestern hatte Mazowiecki angekündigt, daß er an seinen Vorschlägen festhalten werde, da der Ministerpräsident nicht an die Zustimmung der Ausschüsse gebunden ist.

Die neue Regierung umfaßt 23 Ministerposten, von denen 11 Vertreter der Solidarität besetzen werden. Vier, darunter das Innen- und Verteidigungsministerium, gehen an die Kommunisten. Vier Ressorts fallen an die Bauernpartei (ZSL), die Demokratische Partei erhält drei Ressorts. Das Außenministerium wird der parteilose katholische Völkerrechtler Krzysztof Skubszewski übernehmen.

In seiner Regierungserklärung rief Mazowiecki, der seine Rede wegen eines akuten Schwächeanfalls unterbrechen mußte, alle Polen auf, sich hinter der Regierung zu sammeln, um der „wirtschaftlichen Katastrophe“ gemeinsam zu begegnen. Gleichzeitig sprach er sich für den Übergang zur Marktwirtschaft aus und wies darauf hin, daß vorübergehende Arbeitslosigkeit in Kauf genommen werden müsse. Ebenso könnten soziale Hilfeleistungen beschränkt werden, um Haushaltsdefizit und Inflation im Zaum zu halten. Auf dem Hintergrund eines noch weiteren Sinkens des Lebensstandards und der Produktion bat er die Gewerkschaften um Unterstützung bei der Durchsetzung seines Vorhabens.

Mazowiecki kündigte eine radikale Veränderung der Rolle der Miliz und eine „Humanisierung“ der polnischen Armee an. „Die Miliz darf nicht mehr ein Zwangsorgan sein, das die Leute zum Gehorsam zwingt.“ Außerdem werde die politische Polizei verkleinert. Darüberhinaus stellte er Reformen des Justizwesens, eine Liberalisierung des Vereins- und Versammlungsgesetzes und eine „Begrenzung“ der Zensurin Aussicht.

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