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Polen in Berlin: Leben in der Grauzone

■ Polnische Flüchtlinge in Berlin sind anderen Flüchtlingsgruppen gegenüber nicht privilegiert / Status der Duldung zwingt zum Leben am Rande der Legalität / Hilfen politisch nicht mehr opportun

Von Erich Rathfelder

Berlin (taz) - Mehr als 10.000 Polen leben derzeit offiziell in Berlin. Hinzu kommen über 20.000 Aussiedler, die oftmals besser polnisch als deutsch sprechen und Tausende von Besuchern, die für einige Monate oder Wochen in Westberlin Unterschlupf suchen, um sich ein paar Westmark zu verdienen. Für viele von ihnen unterscheidet sich ihre Lebenssituation nur wenig von denen der Immigranten aus anderen Ländern. Auch sie sind in eine Grauzone zwischen Duldung in dieser Stadt und verweigerter Arbeitserlaubnis abgedrängt. Enttäuscht sind vor allem ehemalige Solidarnosc–Mitglieder. Witek, der schon vor dem 13. Dezember 1981 sein Heimatland verlassen hat, dem Tag, an dem General Jaruselski mit der Machtübernahme dem polnischen Frühling ein abruptes Ende bereitete, spricht aus, was viele von ihnen fühlen: „Was haben die Senatoren Lummer und Fink nicht alles versprochen. Von unbürokratischer Hilfe war die Rede, von der Aufenthaltserlaubnis nach zwei Jahren, von Möglichkeiten zu arbeiten.“ Zwar erhielten die Polen die Duldung durch den Berliner Senat und seit April 1983 auch Sozialhilfe für ein Jahr, wer danach jedoch keinen Asylantrag stellte, bekam gar nichts mehr. Nur Verheiratete hatten noch eine Chance, ihre Unterstützung verlängert zu bekommen. Das aber auch nur dann, wenn ihre Aufenthaltserlaubnis „gerichtlich bestätigt ist und auch nur dann, wenn die einzelnen Bezirksämter den Anspruch anerkennen“. Auch das Versprechen der automatischen Duldung gilt seit Juli 1985 nicht mehr. Seitdem müssen auch die Polen Asylanträge stellen, wenn sie Aufnahme in Berlin finden wollen. Arbeitserlaubnis bekommen sie deshalb natürlich auch nicht. Der Teufelskreis ist damit festgeschrieben, Schwarzarbeit der einzige Ausweg. „Das ist für viele Polen eine bittere Situation“, sagt Frau Zimt von der Berliner Beratungsstelle für Polen. Die Löhne sind äußerst niedrig, der ständige Überlebenskampf zerrt an den Nerven. „Die Halblegalität macht die meisten kaputt. Da bleibt von den alten Vorstellungen und Hoffnungen kaum noch etwas übrig“. Für Witek ist dies der Grund, weshalb sich die meisten Polen nicht innerhalb der deutschen Gesellschaft bewegen können: „Ohne die Sprache richtig zu lernen, schließen sich viele ab.“ Zwar gibt es noch ein paar Gruppen und Freundeskreise, die wie in alten Solidarnosc–Tagen ihre Politik diskutieren. Es gibt noch die Zeitschrift Poglad und in einem Buchladen am Richardplatz ist polnische Literatur erhältlich. Diese Tendenz, Gemeinsamkeiten trotz widriger Umstände zu bewahren, ist besonders bei den polnischen Intellektuellen stark ausgeprägt. Das heißt jedoch nicht, daß sie es finanziell besser schaffen würden als die Facharbeiter oder die kleinen und großen Geschäftemacher, die genau wissen, welche Waren in welchem Großmarkt günstig zu haben sind. Manchen Intellektuellen gelingt es jedoch besser, sich mit der deutschen Gesellschaft auseinanderzusetzen. Ewa und Grzegorz etwa haben in einem Kabelkanal kürzlich den ersten Film in polnischer Sprache untergebracht. Thema: die Situation im Exil in Berlin. Für die anderen dagegen tobt im grauen Markt der rein materiell motivierte Überlebenskampf. Wer es nicht schafft, ist auf die Hilfe von Vermittlern angewiesen. Und die folgen den kapitalistischen Gesetzen: Während sie mit ihren Kontakten Verbindungen herstellen, Schwarzarbeit beschaffen und Schlafplätze für Neuankömmlinge zur Verfügung stellen, und dabei kräftig absahnen, sind andere der Ausbeutung ausgesetzt. Nach dem sonntäg lichen Kirchgang, an dem oftmals mehr als tausend Menschen anwesend sind, oder in den drei polnischen Kneipen und Restaurants der Stadt, geht es vor allem um diese Informationen. Die Ausbeutung der Landsleute verursacht kein schlechtes Gewissen mehr. Wie könnte sich ein Neuankömmling oder ein Ferienarbeiter auch behaupten, ohne Wissen um die Orte und Kontakte? Die Lebenssituation der Polen in Berlin und der Bundesrepublik steht in einem eigentümlichen Gegensatz zu der vorherrschenden Ideologie, daß Ostblockflüchtlinge hier einen Sonderstatus hätten. Denn die Zeiten sind offensichtlich vorbei, als diese Flüchtlinge im Westen noch eine ideologischen Funktion in der Auseinandersetzung mit dem kommunistischen Polen des Generals Jaruselski hatten. Mit der Hilfe für die polnischen Flüchtlinge sollte die Überlegenheit des kapitalistischen Systems dokumentiert und das andere Lager in eine politische Defensive gebracht werden. Daß die Politik für die Ostflüchtlinge jedoch nur solange opportun war, wie sie propagandistischen Erfolg versprach, läßt sich am Beispiel der Polen in Westberlin leicht nachvollziehen.

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