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Pokern mit der Angst der Mieter vor dem Kadi

■ Jede vierte Mieterhöhung in den neuen Bundesländern und Ostberlin ist falsch, trotzdem zahlen die Mieter / Vermieter rechnen damit, daß Mieter nicht klagen

Die 38.000 Mieter in Hellersdorf könnten eigentlich dem heutigen Tag gelassen entgegensehen. Zwar gelten ab 1. August für die meisten Haushalte in den neuen Bundesländern in der Regel 30 bis 80 Mark höhere Mieten, doch die Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf (WoGeHe) verschickte an ihre Mieter Mieterhöhungsbescheide, die nach Ansicht von Mietrechtsexperten aus formalen Gründen vermutlich faktisch unwirksam sind.

Zwar hat die WoGeHe auf zwei Seiten fein säuberlich alle Bestimmungen des Mietenüberleitungsgesetzes aufgelistet, doch nach dem seit 1. Juli geltenden Gesetz muß der Vermieter für jede einzelne Wohnung darlegen, um wieviel er die Miete erhöht und jeden Einzelfall begründen. Das hat die WoGeHe allerdings versäumt. Schließlich ist eine Mieterhöhung nach dem neuen Gesetz nur dann zulässig, wenn drei der fünf Gebäudeteile Dach, Fenster, Außenwände, Hausflure/Treppen und Versorgungsleitungen keine „erhebliche Schäden“ aufweisen. Nur 10 statt 15 Prozent mehr Miete dürfen genommen werden, wenn die Wohnung entweder kein Bad oder keine Zentralheizung besitzt.

Die WoGeHe läßt von „unabhängigen Juristen“ derzeit die Rechtmäßigkeit ihrer Mieterhöhungsbescheide prüfen. Schließlich habe man, so wird argumentiert, den Mietern schon bei vorherigen Mieterhöhungen die Beschaffenheitskriterien der Wohnung benannt. Doch obwohl die Mieterhöhung juristisch auf wackeligen Füßen steht, werden nach Schätzungen des Berliner Mietervereins die meisten die neue Miete zahlen: Nur ein bis zwei Prozent werden ihre alten Miete weiterzahlen, heißt es.

Dabei könnten mehr als eine Million ostdeutsche Haushalte ihre Zustimmung zur Mieterhöhung verweigern. Nach Ansicht des Mieterbundes ist jede vierte Mieterhöhung, die Ende Juni an rund fünf Millionen Haushalte in den neuen Bundesländern und Ostberlin verschickt wurde, falsch und damit anfechtbar.

Viele neue Mieten wurden von den Vermietern wider besseren Wissens falsch berechnet. Dabei machen sich die Vermieter die ungenauen Formulierungen des Mietenüberleitungsgesetzes zunutze. Bei Wohnungen, die „nicht mit einer Zentralheizung und einem Bad ausgestattet sind“, so steht es im Gesetzestext, darf die Mieterhöhung nur zehn Prozent betragen. Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen hat seinen Mitglieder geraten, entgegen den Absichten des Gesetzgebers das Wörtchen „und“ im Mietenüberleitungsgesetz kumulativ auszulegen und bei allen Wohnungen, die entweder Bad oder Zentralheizung besitzen, die um fünf Prozentpunkte höhere Mieterhöhung zu verlangen.

In einem Schreiben an alle ostdeutschen Mieter hat Bundesbauminister Klaus Töpfer hingegen in der vergangenen Woche noch einmal darauf hingewiesen, es entspreche dem „ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, daß der Erhöhungssatz von 15 Prozent nur in Fällen verlangt werden darf, in denen die Wohnungen sowohl mit Bad als auch mit Zentralheizung ausgestattet ist.“ Die Vermieter setzen darauf, daß sich Mieter nicht trauen, wegen 10 oder 20 Mark im Monat vor Gericht zu ziehen und deshalb auch den ungerechtfertigten Mieterhöhungsbegehren zustimmen. Immerhin können für jede Wohnung Gerichtskosten von über 1.000 Mark entstehen. In jedem Einzelfall ist der Ausgang des Gerichtsverfahrens vollkommen offen, und bis eine Grundsatzentscheidung für alle diese Fälle ergeht, können Jahre vergehen.

Unterschiedliche Auffassungen gibt es zwischen Mietern und Vermietern auch darüber, was ein „erheblicher Schaden“ ist, der eine Mieterhöhung ausschließt und über die Einjahressperrfrist, die eine Mieterhöhung in der Regel nur dann zuläßt, wenn die Grundmiete in den letzten zwölf Monaten nicht erhöht wurde. Doch der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft drängt bereits auf die nächste Mieterhöhung, denn auch mit der 15prozentigen Mieterhöhung könnten die ostdeutschen Wohnungsunternehmen die sogenannten Altschulden nicht begleichen und gleichzeitig die notwendigen Investitionen bezahlen. Christoph Seils

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