: Poetisierte Resignation
■ Zu Peter Kahanes DEFA-Film „Die Architekten“, jetzt in den Kinos der DDR
Die Moskauer Intellektuellen meinen, ihre Kunst habe die Perestroika vorbereitet. Können das die Babelsberger Filmemacher auch von sich behaupten? Sie tun es zwar häufig, doch wer nach einer Andeutung der späteren Entwicklung, nach einer Objektivierung der Spuren jener Unzufriedenheit forscht, die den Exodus im Sommer, den Fall der Mauer im November oder das Wahlergebnis im März hervorbrachte, findet sie in den DEFA-Filmen kaum. Die Arbeiter auf der Leinwand sind bieder-zufrieden. Nur ein paar Intellektuelle haben Zweifel an der Ordnung der Dinge, alles andere „geht seinen Gang“. Sie verraten ihre Individualität und gehen daran kaputt, doch sie arrangieren sich und organisieren keine „neuen Foren“. Die Filme nach der Wende sind die alten geblieben. Verändert haben sich lediglich die Umstände, in die diese Filme mehr unfreiwillig hineingeraten sind. Und diese Umstände verändern zwangsläufig die Filmbotschaften in Berlins „citta aperta“, im Juni 1990.
Die Architekten wird als der Film des Jahres gefeiert. Ich sah mehrere Leute, die bewegt aus dem Premierenkino kamen: „So war es. Das war unser Leben!“ Es ist ein „Abschlußfilm“ der DEFA: Ehrlich gemeint, bemüht und - langweilig. Er reproduziert treu das alte Fabelschema, nur nicht im üblichen Dur. Resignierte Intellektuelle, frustrierte hysterische Frauen schauen finster von der Leinwand herab (Was? Die Männer sind intellektuell und die Frauen frustriert? Ich dachte, „drüben“ sind die Frauen emanzipiert? die West-Säzzerin). Manche stumm, manche wortreich. Der dekorative, unbewegliche Hauptheld, ein Nonkonformist, ist leicht in der Menge auszumachen: Pullover ohne Parteiabzeichen inmitten von Schlipsträgern. Mit 38 darf er erstmals etwas eigenes bauen. Ohne vorgefertigte Teile. Vorbei an den vorschriebenen Standards. Ohne Selbstbeschränkungen. Eine Utopie realisieren, einen Wohnbezirk bauen wie einen Staat: Architektur als Metapher für ein gescheitertes Gesellschaftskonzept, für Lebensbau. Aber die Metapher geht nicht auf: Was da abläuft, ist das traditionelle Produktionsdrama, verwoben mit der Geschichte einer gescheiterten Ehe.
Einer will etwas Neues durchsetzen und stößt auf die alten Verbote: Engstirnigkeit des Chefs, Engpässe der Produktion. Der Held kämpft sich müde und rennt gegen die grauen Mauern, unterdessen angelt seine Frau sich einen Schweizer und reis(s)t aus - in die Welt der bunteren Angebote. Diese Mauer vermag er nicht umzustoßen. Auf diese Weise wird die Geschichte der vernachlässigten Gattin (der Mann kämpft für das Gemeinwohl, nicht für sein individuelles Glück) aktuell variiert. Das einzige, was dem Architekten bleibt: die notwendigen Spielregen annehmen - einen Pakt mit der Macht schließen. Er schreibt eine Bittschrift an die FDJ (hier als Ersatz fürs allmächtige ZK, das stets im Heilsglauben den deus ex machina - die höhere Gerechtigkeit - ersetzte) und gewinnt. (?? Seine Frau zurück?? d.S.) Im Unterschied zu Filmen mit derselben Fabel aus den vergangenen drei Jahrzehnten ist dieser Sieg nicht mehr mit Gloriolen orchestriert, sondern von Melancholie und Gebrochenheit gezeichnet: der Sieger fällt in einen trunkenen Schlag neben der Tribüne, seinem ideologischen Haus ohne Dach. Der Konflikt ist auf Unbeweglichkeit programmiert, starr wie ein Mythos: die Macht ist senil und blöd, der Widersacher jung und begabt. Alles klar - und doch gibt es keine Alternative. Wie schon in den „Regalfilmen“. Die Macht siegt, der Rebell läßt sich schlagen, andere gehen schweigend, die Filmemacher beweinen die Unveränderbarkeit der Ordnung, und ihr Film läuft in einer total veränderten Welt voller alter Protagonisten, neuer Widersprüche und übersehender Alternativen.
Architekten wurde vor einigen Jahren konzipiert; gedreht hat ihn Peter Kahane zwischen Oktober und Januar, als die Zensurschranken gefallen waren und „alles“ gesagt werden durfte - als sich der Film eigentlich erübrigt hatte (die alte Macht, die ihn solange verhinderte, hat posthum gesiegt und feiert jetzt mit): Zum ersten Mal in einem DDR -Film fuhr die Kamera an der Mauer entlang (als es sie faktisch nicht mehr gab), kam das geschlossene Brandenburger Tor mit der Aussichtsplattform (gerade noch vor deren Abriß) ins Bild. Der Film über Architekten und Architektur entbehrt jeder Raumsuggestion, bleibt ein publizistisches Wortdrama (Buch: Thomas Knauf). Die Agierenden debattieren ausführlich und überdeutlich vor Reißbrettern oder am grünen Tisch, in Versammlungen und im Bett. Ab und zu gibt es Kamerafahrten vorbei an Betonblöcken, um den Wortschwall etwas aufzulockern. Reflexiv ist die sozial-psychologische Abrechnung. Nur womit? Mit den Umständen? Mit sich selbst? Nein, natürlich mit dem System (mit dem alle so schnell fertig wurden). Problem benannt - Problem erkannt, es wird viel gesagt und leider - trotz melodramatischem Ansatz (Adultere, Scheidung, Trennung vom Kind) - wenig erlebt.
Das Beste am Film ist, wie die Macht im Vorbeigehn angespielt wird: die „alltägliche“ Macht, die in ihrem Selbstlauf auf „Stasi-Typen“, jene bequemen Buh-Männer dieser Tage, gar nicht angewiesen war. Alle wissen, was gespielt wurde, und nahmen die Konventionen dieses Gesellschaftsspiels an. Was noch? Nicht realisierte Projekte ausdenken, eine Papierutopie. Warum machten dann die Intellektuellen das Spiel solange mit - ohne Aufstand? Diese Metaphysik einer mystifizierten Ausweglosigkeit wird weinerlich und selbstbemitleidend von den Architekten poetisiert. So wird die Trauerarbeit, die retrospektive Abrechnung (mit sinkendem Zeitwert) durch eine mütterliche Geste ersetzt: Pusten, Streicheln, Tränen abwischen - bis zur Hochzeit wird alles wieder gut. Ein schon ergrautes Baby, das sich zum Embryo rollt und in den Mutterleib des Siegerpodestes gekrochen ist, sehnt sich nach einem Über -Vater, der alle Widersprüche ein für allemal verschwinden läßt - wie den zwölf Tonnen schweren Checkpoint Charlie.
Oksana Bulgakowa
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