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Poetische Ausdruckskraft

■ betr.: „Niemals auf Nummer Sicher“ (Toni Morrison), taz vom 9.10.93

Gewagt kann man es nennen, wenn in einem Artikel über eine frisch durch den Literaturnobelpreis ausgezeichnete Schriftstellerin mit keinem Wort darauf eingegangen wird, wie sich ihre Kunst darstellt. Zumal es wohl gerade diese poetische Ausdruckskraft war, die das Nobel-Komitee dazu bewog, ihr den Preis zuzuerkennen. Für meine Begriffe schreibt Toni Morrison mit das Schönste, was es in der englischen Sprache gibt. [...]

Der Roman „The Bluest Eye“ ist wie die meisten Bücher ganz einfach vorne aufzuschlagen; auf der Vorderseite (der Einfachheit halber befindet sich dort häufig ein Bild) steht übrigens auch der Titel, den korrekt abzuschreiben doch nicht so schwer sein kann. In „The Bluest Eye“ also geht es nicht vordringlich um „Sexismus von schwarzen Männern gegenüber schwarzen Frauen“. Es geht dort, wie in Toni Morrisons übrigem Werk, um die Entmenschlichung durch die Sklaverei, die es Afroamerikanern auch heute noch erschwert, ein „normales“ Leben zu führen. Wenn es um sexuelle Gewalt geht, dann die, die weiße Männer gegenüber schwarzen Frauen oder Männern ausüben, denn Sklaverei war für Toni Morrison in erster Linie diese Macht der Sklavenhalter – „a sexual license“. Sexuelle Gewalt Schwarzer erklärt sie aus diesem Erbe, sie ist also nicht zu ausschließlicher Schuldzuweisung an schwarze Männer bereit. Mit dieser Loyalität zuerst gegenüber Afroamerikanern tun sich feministische Intellektuelle natürlich schwer. [...] Gabi Heidenfelder, Berlin

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