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Poesie liegt in der Luft

Der Kampf der Popstars: Während Thoma hadert, springen Goldberger und Peterka heute um den Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee  ■ Aus Innsbruck Nina Klöckner

Der erste Disput begann schon im Bus, der die zahlreichen Fans vom Innsbrucker Bahnhof zur Bergisel-Schanze hinaufkarrt. Eine Frau mit grauem Filzhut und rotweißer Fahne stöhnte über den „ekelhaften“ Nieselregen. Der Busfahrer dagegen war anderer Meinung: „Ist doch gut. Das macht die Anlaufbahn langsamer.“ Außerdem sei Regen besser als Wind, so seien die Bedingungen wenigstens für alle gleich.

Sollte man meinen. So trafen sich also am Samstag die 50 besten Springer aus der Qualifikation und etwa 30.000 Zuschauer bei leichtem Regen und mäßigem Wind, um das dritte Springen der deutsch-österreichischen Vierschanzentournee zu feiern. Doch auch im Stadion sollte nicht lange Frieden herrschen.

Bereits im Probedurchgang setzte Dieter Thoma seine Bretter bei 116,5 Metern auf, drei Meter über dem kritischen Punkt. Weit genug also, so die Meinung der deutschen Delegation, um über die Anlauflänge zu diskutieren. Denn die weiten Sätze der Skispringer gefährden nicht nur das leibliche Wohl der Sportler, sondern auch das Punktesammeln. Weiter Sprung, schlechte Landung, wenig Punkte. Pech gehabt. Die alte Diskussion.

Die Jury jedenfalls ging auf das Murren nicht ein, ließ alles beim alten. Als Thoma dann im ersten Wertungsdurchgang mit 120 Meter neuen Schanzenrekord sprang, für seine Notlandung aber durchaus mit schlechten Punkten belohnt wurde und nur auf dem fünften Rang landete, war man in dessen Reihen endgültig verschnupft. Der lange Anlauf sei klar auf Österreichs Liebling Andreas Goldberger zugeschnitten gewesen, weil „der Goldi im Training so schlecht drauf war“, sagte Thoma.

Auch Bundestrainer Reinhard Heß zweifelte an der Neutralität der Jury. Der Anlauf sei ein Zugeständnis an den Österreicher gewesen. „Irgend jemand muß da gewirkt haben“, sagte Heß. Goldberger reagierte auf die Vorwürfe gereizt. „Es gibt klare Regularien.“ Und Schluß.

Für den zweiten Durchgang wurde der Anlauf ein klein wenig verkürzt. Doch auch das half Thoma nichts mehr. Er verpaßte den Absprung und stürzte auf Rang neun ab. „Ich habe es einfach nicht im Griff gehabt“, sagte er. Den angepeilten Gesamtsieg kann er nun wohl vergessen.

Ein paar Springer hat die deutsch-österreichische Diskussion jedenfalls völlig kalt gelassen. Der Japaner Kazuyoshi Funaki freute sich über seinen Sieg, weil „ich nach dem Aufstehen noch nicht daran geglaubt habe“. Der Slowene Primoz Peterka (17) vergrößerte mit seinem zweiten Platz die Gesamtführung gegenüber Goldberger (diesmal vierter) auf neun Punkte. Was er jetzt vorhat? „Die Form halten“, nein, „besser werden“, und ganz ehrlich, „viel, viel besser“, sagte er und schaute dabei so frech unter dem wilden schwarzen Schopf hervor, wie ein Lausbub, der zum wiederholten Mal die Kirschen aus Nachbars Garten geklaut hat. Wenn er heute in Bischofshofen (ARD, 13.30 Uhr) gegen Goldberger tatsächlich die Tournee gewinnen sollte, hat er das gewissermaßen auch getan. Dieter Thoma weiß derweil nicht, ob er in Zukunft lieber „sehr weit oder sehr schön springen soll“. Und war deswegen sehr traurig. Denn auch bei den Skispringern geht es inzwischen nicht mehr nur um die Ehre.

Aus dem Zeitvertreib für gelangweilte Sportfans zwischen den Feiertagen ist neuderdings ein „Megaevent“ geworden. Und aus den Milchgesichtern in wattierten Neonanzügen echte Popstars. Abgezockt wird seitdem hauptsächlich neben der Schanze. Wer viel im Fernsehen zu sehen ist, bekommt ein erhöhtes Taschengeld vom Sponsor. Der Weg zum Stadion ist mit Fanshops gepflastert. Nationale Banner mit aufgedrucktem Konterfei des auserwählten Helden kann man dort erwerben.

Besonders hoch im Kurs steht derzeit Andreas Goldberger. Vor wenigen Monaten hat er sein Buch „Absprung“ veröffentlicht. Die gesamte Auflage ist ausverkauft. Jetzt hat er seine Fans mit einer CD beglückt, auf der er seine Höhenflüge und sein Heimatland besingt. Und wer weiß, vielleicht gibt es demnächst auch wattierte Anzüge mit dem „Goldi“-Schriftzug zu kaufen.

Am Ende des verregneten Tages war es auch am Bergisel wieder friedlich. Als die Springer in Kleinbussen in die Hotels zurückgekarrt wurden, reichten ihnen eine Horde junger Mädchen verträumt die Poesiealben durch die Fenster. Für die neuen Fans ist es eben nicht so wichtig, ob die Skispringer möglichst weit oder sehr schön springen.

Hauptsache, sie sind süß.

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