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Archiv-Artikel

Platte mit stillem Charme

Marzahner Bürger halten zu ihrem Betonbezirk, der vor 25 Jahren offiziell aus den Dörfern Biesdorf, Kaulsdorf, Mahlsdorf, Hellersdorf und Marzahn hervorging. Doch vom Feiern halten sie wenig

von ANNA LEHMANN

An den Ahrensfelder Terrassen in der Havemannstraße ist Marzahn sechs Stockwerke hoch. Die Ladenzeile mit Schlecker, Sonnenstudio und einem Infopoint der Wohnungsbaugesellschaft schläft in der Sonne. Vor 25 Jahren, als die Stadtverordneten Ostberlins den Bezirk Marzahn beschlossen, waren hier noch veträumte Wiesen. Die S-Bahn-Strecke nach Ahrensfelde wurde erst vier Jahre später ausgebaut.

„Die Verkehrsanbindung ist gut, aber sonst hab ich nischt zu feiern“, gibt eine Passantin Auskunft. Sie trägt ein Buch ihres Mannes in einer Kaufhof-Tüte zur Bibliothek am Fuße der Terrassen. Zweimal ist sie nach Marzahn gezogen. 1986, als ihr Mann als Leitungskader von Merseburg herbeordert wurde, und vor zwei Jahren erneut. „Wir sind 1994 in ein Haus am Stadtrand gezogen, aber das konnten wir nicht halten.“ Jetzt wohne sie wieder im Elfgeschosser. Sie weist auf die andere Straßenseite. So schlecht sei es nicht, ein bisschen beengt vielleicht. Wenn der Mieter unter ihr seine Anlage aufdreht, vibriert der Boden. „Aber dann klopft man mal an die Heizungsrohre.“ Das Verhältnis zu den Nachbarn sei gut. Alle Wohnungen sind belegt, der Block wurde aufgefüllt mit Bewohnern anderer Häuser, die umgebaut werden sollen. Auch die Ahrensfelder Terrassen werden dieses Jahr auf drei Etagen gekappt.

„Nächste Woche müssen wir raus“, sagt eine Frau, die mit ihrem Gatten im Infopoint wartet. Kein Grund zum Feiern. Das Ehepaar kam 1996 und eröffnete ein Fitnessstudio, das inzwischen pleite ist. Wegziehen wollten sie nicht mehr: „Wir haben so eine schöne Wohnung. Mit Dachgarten.“ Sie werden aufgerufen.

Zwei Rentner setzen sich auf ihre Plätze. Sie blättert in einem Heftchen der Wohnungsgesellschaft, er dreht seine Schiebermütze zwischen den Knien. Sie sind 1987 von der Greifswalder Straße in die Elfgeschosser am S-Bahnhof Ahrensfelde gezogen. Damals war das ein Grund zum Feiern. „Wir waren froh, als wir weg konnten von den Chaoten da.“ Viel ruhiger sei es in Marzahn. Obwohl, ein paar Chaoten gebe es hier auch: „Neulich sind welche eingezogen, deren Möbel hätte man gleich zum Sperrmüll schaffen können. Einen Hund haben se auch. Alkis, alle beide.“

Die Havemannstraße sei ihr nicht geheuer, bekennt eine Enddreißigerin, die aus dem Infopoint zum Auto eilt. „Wenn die Polizei anrückt, dann immer dorthin“, zeigt sie zur gegenüberliegenden Seite. Ihrer Tochter verbiete sie, dort zu spielen. Wenn die Hochhäuser abgerissen würden, ja, das wäre schön. „Mal ehrlich, das sieht doch aus wie ein Ghetto.“ Seit 20 Jahren wohnt die Bibliothekarin in Marzahn. „Es ist preiswert, es ist grün und besser als sein Ruf.“ Nur die Infrastruktur lasse zu wünschen übrig. „Gaststätten und kleine Cafés fehlen hier. Das wird es auch nie geben.“ Vielleicht gibt es auch die Bibliothek bald nicht mehr. Die Abrissbirne wird den Flachbau verschonen, doch der Rotstift könnte ihr den Garaus machen. Es sei ja schön, wenn die Wohnungen renoviert würden, aber das Drumherum müsse auch sein, beschwört die Frau. Sonst sei doch die ganze Gegend wie tot.