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Archiv-Artikel

Platte Effekte unerwünscht

Gebrauchstechno – nein danke! Der DJ, Produzent und Mitbegründer des Köln-Berliner Technolabels Sub Static, Falko Brocksieper, bevorzugt Mehrdeutigkeiten – auch auf seinem aktuellen Album

VON TIM CASPAR BOEHME

Über Musiksoftware zu schreiben, ist nicht gerade die spannendste Angelegenheit. Zu erfahren, warum jemand ein bestimmtes Programm benutzt, kann aber aufschlussreich sein.

Falko Brocksieper kennt sich als Produzent aus mit allen möglichen Formen der elektronischen Klangerzeugung – von primitiven analogen Maschinen, die er gesammelt hat, bis zum Computer, wie er heute Standard ist. Mit dem sich pilzartig verbreitenden Programm Ableton Live beschäftigt er sich aber erst seit diesem Frühling – damit er sein aktuelles zweites Album „Heavy Day“ auch live vorstellen kann.

Für den erfahrenen DJ ist dies eine strategische Entscheidung. Im internationalen Clubgeschäft laden die ansässigen Veranstalter, die sogenannten Residents, DJs aus aller Welt ein. Allerdings nicht jeden: „Die Residents haben vielleicht einmal zu oft die Erfahrung gemacht, dass sie jemand von Gott weiß wo eingeflogen haben, und der spielt dann dieselben Platten, die sie auch haben, nur vielleicht sogar noch schlechter gemixt.“

Mit seinem Live-Programm investiert Brocksieper sozusagen in seine Zukunft als DJ: „Für das Berufsprofil ist es, ganz unromantisch ausgedrückt, schon sehr wichtig, dass man einen Live-Act im Angebot hat.“

Bei Brocksieper und seinem Label Sub Static, das er zusammen mit der Produzentin Mia alias Michaela Grobelny betreibt, gibt es eine Spannung zwischen der Anpassung an die Dynamik des Techno-Markts und dem Beharren auf den eigenen Vorlieben. Trotz der nüchternen Sicht auf das DJ-Geschäft betreiben die beiden aus Köln in die Hauptstadt gezogenen Musiker ihr Label nicht im Sinne erbarmungsloser Profitmaximierung. Sie entscheiden spontan und intuitiv, was veröffentlicht wird.

„Wir hören genau hin, und wenn wir es nach dem zehnten Hören immer noch super finden, bringen wir es womöglich auch raus.“ Von Musik, die lediglich gut gemacht sei, nehmen sie „zum Leidwesen der Verkaufszahlen“ eher Abstand, wenn sie ihnen „einfach zu platt“ vorkommt – „Gebrauchstechno“, wie Brocksieper dies nennt.

Den Vorwurf, ihre Musik sei „zu platt“, werden die beiden vermutlich nicht oft zu hören bekommen. Sub-Static-Tracks zeichnen sich durch subtile Klangschichtungen und eine melancholische Grundfärbung aus. Bei Brocksieper tauchen häufig widersprüchliche Ebenen in den Produktionen auf: „Wenn ich etwas Melancholisches mache, ist es mir wichtig, dass ich das eine oder andere Element dabei habe, das nicht dazu passt.“

Auf seinem Album „Heavy Day“ finden sich reichlich gegensätzliche Stimmungen, oftmals in ein und demselben Stück. Gleich zu Beginn erklingt mit „Lament“ ein Klagelied, bei dem man nicht recht weiß, ob man bei den absteigenden Halbtonschritten an Weinen oder Lachen denken soll, so fröhlich swingt der Rhythmus dazu. In manchen Stücken schrammt Brocksieper, wie er sagt, „haarscharf am Kitsch vorbei“.

Seine Synthesizer-Sammlung setzt er sehr variabel und differenziert ein, zu hören sind meist Klänge von dezent nostalgischer Leichtigkeit. Erst gegen Ende des Albums gewinnen die melancholischen Töne immer stärker die Oberhand, die Schlussnummer „Homecoming“ wirkt fast schon resignativ.

Stilistisch war für Brocksieper der Minimal Techno der Neunziger prägend. Obwohl er und Mia zu dieser Zeit in Köln wohnten, war es weniger die unter dem Namen „Sound of Cologne“ bekannte süffige rheinische Minimalismus-Spielart als der reduzierte Stil aus Detroit, der Brocksieper faszinierte. Mit dem Begriff „Minimal Techno“ verband man früher einen konzeptuellen Ansatz, bei dem es um die Reduktion auf die wesentlichen Parameter Rhythmus und Geräusch ging. Mittlerweile sei es nur noch eine „Soundästhetik, die sich an immer kleineren Indikatoren festmacht: Es sind ein paar Sounds drin, die eben kürzer sind, oder dieses etwas Klickerige“.

Minimal Techno ist mithin selbst reduziert worden– auf einen bloßen „Marketingbegriff“. Noch eine starke Veränderung der elektronischen Musik sieht Brocksieper im digitalen Musikhandel, wie er für die Clublandschaft selbstverständlich geworden ist. Auch bei Sub Static wird der Downloadverkauf immer wichtiger, Vinyl und CDs bleiben aber im Programm. „Der CD wird ja heute der geringste Sinn bescheinigt, weil es einfach ein Datenträger ist, und Daten werden heute durch die Luft übertragen.“ Die Konsequenz: „Wenn die CD ausstirbt, stirbt auch das Album aus. Denn wenn wir uns nur noch auf digitalem Markt bewegen, gibt es keinen Grund mehr, eine bestimmte Anzahl von Musikstücken zu einer Einheit zusammenzufassen.“

Brocksieper sieht dennoch Chancen für eine Renaissance der CD: „Beim Album von Mia war es letztes Jahr sehr auffällig, dass das Format CD mit Abstand den reißendsten Absatz gefunden hat. Das hat mich ein bisschen darin bestärkt, dass es für Leute anscheinend doch reizvoll ist, so etwas Geschlossenes wie ein Album auch in einer geschlossenen Form zu konsumieren, statt sich die Tracks einzeln zusammenzusuchen.“

Auch Brocksiepers Album besteht nicht nur aus Clubtracks, sondern enthält einige Gesangsnummern, die „Heavy Day“ zu einer runden Sache machen. Mit „Emotional Support“, gesungen von Richard Davis, hat er sogar einen Anwärter auf einen Sommerhit im Angebot. Dass der Titel so geradlinig geraten ist und ein wenig an die 80er erinnert, war ursprünglich gar nicht geplant: „Eigentlich wollte ich mit Richard Davis so etwas Schwurbelig-Waberndes ausprobieren, was er noch nicht gemacht hatte. Aber damit ist er nicht so gut klargekommen, so dass ich ihm das Stück praktisch auf den Leib geschrieben habe.“ Mit einigem Erfolg – demnächst zu hören im Club Ihres Vertrauens.

Falko Brocksieper „Heavy Day“ (Sub Static)