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Piraterie ist ein Wachstumsmarkt

In Brasilien nehmen die Überfälle auf Schiffe weiter zu. Die Versicherungspolicen werden immer teurer  ■ Aus Rio Patricia Scholl

In der Guanabara-Bucht vor Rio läuft ein asiatischer Frachter mit Computern, Walkmen und Radios ein. Nur wenige Kilometer entfernt in den Pfahlbau-Slums wissen die modernen „Piratas“ längst Bescheid. Frohlockend präparieren sie sich für den nächtlichen Einsatz: Uzi-Maschinenpistolen werden geladen, schwarze Klamotten und Kapuzen übergestreift. Fast unhörbar nähern sich zwei Alu-Motorboote dem Schiff. Die praktischen Leichtmetall-Enterleitern werden ausgeklappt und hoch geht's.

Drei verdatterte Seeleute werden von den tropischen Ninjas schnell überrumpelt und in ein Klo gesperrt. Die eine Piratengruppe klappert die Kabinen ab und bricht den Kapitänstresor auf, während die andere nach den gewinnträchtigsten Containern sucht. Viele aus der Truppe sind Analphabeten und verstehen deshalb die Kartonaufschriften nicht. Notfalls wird so ein Ding ins Meer geschmissen – geht es unter, war es wertloser Mist. Bleibt es jedoch oben, lag es am vielen Styropor, das die wertvolle Elektronik schützt. Beim Einfahren in einen der zahlreichen Arme der Bucht landet die Geisel im Matsch, während die Hehler die Ware in Empfang nehmen.

Das organisierte Verbrechen hat auch in Santos, dem größten Hafen der neunten Wirtschaftsnation, die Piraterie gut im Griff. So gut, daß die International Shipping Federation Brasilien jetzt erstmals in den Kreis der übelsten Piraterie- Staaten einreiht. Die Häfen des Landes werden damit als so unsicher erklärt wie die in China, Indien, den Philippinen und Nigeria. Das wirkt sich sofort negativ auf die Frachtkosten aus – die Versicherer wollen mindestens acht Prozent mehr. Das schadet dem Im- und Export und vergrößert das sowieso stetig wachsende Handelsdefizit des Landes.

„Über 90 Prozent des Außenhandels gehen über die Häfen. Jetzt müssen wir teuer für die Untätigkeit der Regierung bezahlen“, sagt Meton Soares Junior, Ratsmitglied der International Shipping Federation. Bereits 1995 wurden vor Santos pro Woche immerhin fünf Frachter von Piraten gekapert, was die Versicherungstaxen bereits damals um 30 Prozent gegenüber anderen Welthäfen hochgetrieben hatte. 1997 wurden in Rio offiziell elf Schiffe überfallen – die tatsächliche Zahl liegt jedoch weit höher, weil betroffene Kapitäne die Piraten selten anzeigen. Andernfalls müßten sie wegen tage- oder gar wochenlanger Ermittlungen hohe Liegegebühren einkalkulieren. Am Festland in Rio wird in maximal einem von zehn Mordfällen überhaupt nachgeforscht – die Polizei erweist sich als inkompetent. Ähnlich schlecht steht es bisher um die Chancen, Piraten zu schnappen. So ist deren Geschäft eindeutig ein Wachstumsmarkt.

Nicht immer gehen die Überfälle unblutig aus. 1993 wurden in der Guanabara-Bucht auf dem unter maltesischer Flagge fahrenden Tanker „Amand Valetta“ zwei Seeleute erschossen. Kommentar des kokainsüchtigen 17jährigen Piraten „Ninja“: „Wir riskieren unser Leben – drin im Schiff heißt's nur: wir oder die!“ Weil auch deutsche Frachter inzwischen bewaffnete Matrosen auf Wache haben, müssen die Piraten notfalls mit Tricks arbeiten. Einer hat mit dem Umstand zu tun, daß sich Seeleute selbst bei kurzer Aufenthaltsdauer gerne Mulattinnen gleich gruppenweise kommen lassen. Manche von denen spionieren; bei der Motorbootbesatzung, die die Prostituierten transportiert, kann es sich um Piratas handeln, die ganz plötzlich Uzis und österreichische Glock-Pistolen ziehen. Doch nicht nur ausländische Frachter sind im Visier: Über die Hälfte der brasilianischen Handelsschiffe wurde bereits überfallen.

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