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GASTKOMMENTARPhrasen

■ Zum deutsch-französischen Gipfel

Der deutsch-französische Gipfel soll mit Pomp die endgültige Versöhnung der beiden alten Erbfeinde besiegeln. Das heißt – angenommen der Begriff der Endgültigkeit hat geschichtlich einen Sinn –, daß die Nachkriegszeit beendet sein soll. Diese Zeit war geprägt von einer Rollenverteilung, in der Frankreich seine Stellung in Europa auf den Status einer Atommacht stützte, während die Bundesrepublik ihre Stellung mit dem Wirtschaftswunder begründete. Heute jedoch treffen Börsensturz und Abrüstung aufeinander. Diese Gleichzeitigkeit stellt erneut die Europäische Frage, wobei man die Abwesenheit Westeuropas bei den großen internationalen Entscheidungen zunehmend bemerkt.

Kann man heute sicher sein, daß auch nur im geringsten Spannungsfall nicht altes Mißtrauen wieder auftaucht? Denn dieses Westeuropa wurde ohne die Völker gemacht. Die Perspektive eines einheitlichen westeuropäischen Marktes entwickelt sich ohne Beachtung sozialer Dimensionen. Der Internationalismus ist heute noch ausschließlich die Sache der Geschäftswelt. Die westeuropäische Linke hat dem nichts Überzeugendes entgegenzusetzen. Zwischen der Bundesrepublik und Frankreich hat sich die Kluft zwischen den Gesellschaften zur gleichen Zeit und in dem Maße vergrößert, wie sich das Verständnis der Regierungen vertieft hat. Man kann sich in dem Land des Marquis de Sade immer noch schwer die Lektüre der Emma vorstellen, um nur ein Beispiel zu nennen. Die Ostpolitik ist ein weiteres: Frankreich ist heute das europäische Land, in dem man das größte Mißtrauen gegenüber der Perestroika hegt. Ein wirklicher deutsch-französischer Dialog kann nicht über diese gesellschaftlichen Realitäten hinweg geführt werden. Bernard Umbrecht, Pariser Wochenzeitschrift Politis

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