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Philosophische Plauderstunde

■ „Das Gastmahl der Xanthippe“ — eine Bestandsaufnahme der Männerwelt

In der Nähe des Kurfürstendamms, in einem kleinen Café, treffen sich in den fünfziger Jahren vier Frauen. Bei Kaffee, Kuchen und geistigen Getränken halten sie eine Woche lang, während ihres Studienaufenthaltes in Berlin, jeden Nachmittag ihr „Gastmahl“ ab.

Das Quartett erregt Aufsehen. „Hohen Wuchses, kräftig und wohlgebildet, in lose geschnittenen, schön gefältelten Gewändern und weichen, modischen Sandalen vereinigten die Damen Eleganz, Eigenart und Würde zu einem sehr ausgeprägten Bild.“ Manche Passanten und Cafébesucher meinen, die Frauen irgendwann schon einmal gesehen zu haben. Aber nur die Wirtin Gretchen, selbst aus der Literatur einschlägig bekannt, erfährt, um wen es sich handelt. Nämlich um Damen aus dem fernen Griechenland, um Aspasia, die hochgebildete und geistvolle Geliebte des Perikles, um Diotima, die Sokrates das Wesen des Eros verständlich gemacht hatte, um Sappho, die berühmte Dichterin, und Xanthippe, die schlagfertige Ehefrau des Sokrates.

Die Damen lachen viel, über Sokrates und andere Männer. Ohne ihren Sprachwitz wären ihre Gespräche allerdings auch allzu deprimierend, denn sie erörtern, was die letzten zweieinhalbtausend Jahre den Frauen gebracht haben.

„Was denn! Wie denn! Die Gleichberechtigung der Frau wird überhaupt noch erörtert? Und das im zwanzigsten Jahrhundert?“ fragen sie ungläubig. Nicht nur die streitlustige Xanthippe ist entsetzt über die Ereignisse ihrer vormittäglichen Bestandsaufnahmen quer durch Politik und Wissenschaft, Technik, Literatur und Alltagsleben, und die Griechinnen analysieren ihre Befunde so zwingend, daß selbst dem stillen, angepaßten Gretchen gelegentlich Zornesröte in die Wangen steigt, ihr schier unendliches Verständnis für die Männer ihr fragwürdig zu werden beginnt und sie zur Schülerin ihrer Gäste wird.

Diotima, Aspasia und Xanthippe können nicht glauben, daß sich an den Männern so gar nichts geändert haben soll in der langen Zeit. Aber sie müssen zur Kenntnis nehmen, daß die Herren der Schöpfung sich leider kein bißchen weiterentwickelt haben. Deren Wünsche den Frauen gegenüber sind gockelhaft und von Angst bestimmt wie eh und je. Aber auch das sonstige Verhalten der Männer, beispielsweise deren ungehemmte Redelust, können die Besucherinnen ganz und gar nicht geistreich finden. Im Gegenteil, sie beobachten, daß die Männer sich häufig völlig verrennen und „geradezu schmerzhaft für den logischen Verstand vom Thema abschweifen“.

Bei den Autorinnen dieser wunderbaren Gechichte handelt es sich um ein Team. Zu dritt schlüpften sie in die Haut ihrer berühmten Heldinnen und verraten so viel von ihren eigenen Begabungen, daß ich sehr gern mehr über sie wüßte.

Zu gern hätte ich ein Foto vom schöpferischen Kaffeeklatsch der drei Damen. Sie waren alle um die fünfzig, als sie sich, wie ihre Protagonistinnen, regelmäßig nachmittags trafen und Das Gastmahl der Xanthippe schrieben. Das 1958 zuerst erschienene Buch wirkt noch heute so aktuell, daß man sich bestürzt die Augen reibt. Die Autorinnen, die sich das Pseudonym „Delphica“ gaben, haben nicht nur Vergangenheit und ihre Gegenwart erhellt, sondern auch überraschend genau vorausgesehen, was die Frauen dreißig Jahre später beschäftigen wird: von der Klage über die Liebesunfähigkeit der Männer, über die gespenstischen Möglichkeiten der Gentechnologie, bis hin zur Falle der alten beziehungsweise neuen Mütterlichkeit.

Jammerschade, daß die Autorinnen die Neuauflage ihres Buches und die Resonanz darauf nicht mehr miterleben können, denn es werden bestimmt viele Leserinnen erkennen, was für ein Feuerwerk an Klugheit, Witz und Sprachkraft ihnen mit diesem Buch hinterlassen wurde. Barbara Dohrick

Delphica: Das Gastmahl der Xanthippe. Mit einem Nachwort von Pieke Biermann. efef-Verlag, Zürich-Dortmund, 32 DM

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