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Philosophie-Lektionen vom Stasi-Offizier

■ Mehr als 1.500 ausgediente Stasi-Leute haben in Ost-Berlins Klassenzimmern einen neuen Job gefunden

Von Claus Christian Malzahn

Ost-Berlin. Rund zehn Prozent aller zur Zeit in Ost -Berlin tätigen Lehrerinnen und Lehrer haben ihren Job nicht ihrer beruflichen Qualifikation, sondern dem „Modrowschen Sozialplan“ für ausgediente Stasi- und Parteimitarbeiter zu verdanken. Wie erst jetzt bekannt wurde, kam es in den politisch unübersichtlichen Monaten Januar und Februar zu einem regelrechten Einstellungsboom an Ostberliner Schulen. Über den vorhandenen Bedarf und den vorgesehenen Finanzplan hinaus wurden damals 1.605 neue Pädagogen und 350 technische Mitarbeiter an den Lehranstalten eingestellt. Der Sprecher des Magistrats, Hoßbach, bestätigte gegenüber der taz, daß die „überwiegende Mehrheit“ der neuen MitarbeiterInnen vorher hauptamtlich beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gearbeitet hätte.

Der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Erhard Laube, wies darauf hin, daß die Einstellungen ohne den Nachweis einer pädagogischen Qualifikation und zum Teil „mit gefälschten Unterlagen“ erfolgt seien. Einige der jetzt im Schuldienst tätigen Ex-Stasi-Offiziere hätten sich nun in den vergangenen Wochen bei der GEW um Kündigungsschutz bemüht. In den Bezirken Köpenick, Weißensee und Treptow ist es nach Angaben von Magistratssprecher Hoßbach bereits zu Entlassungen von Stasi-Pädagogen gekommen. GEW-Chef Laube betonte gestern, daß „ehemalige Stasi-Mitarbeiter bei der GEW unerwünscht sind“. Die Gewerkschaft will keinen Rechtsschutz gewähren, wenn die Ursache des Rechtsstreits in einer Stasi-Tätigkeit liege.

Obwohl die Neulinge erst ein paar Monate unterrichten, verdienten sie bislang mehr als ihre altgedienten KollegInnen. Die Tätigkeit beim MfS wurde kurzerhand mit angerechnet. Bildungsstadtrat Dieter Pavlik (SPD) will das jetzt wieder rückgängig machen und wies darauf hin, daß „solche Dienstjahre“ in keinem Fall mehr angerechnet werden sollen. Die Lohnsumme für LehrerInnen in Ost-Berlin stieg in den Monaten Januar und Februar nach Angaben des Bildungsstadtrats von 32 auf 39 Millionen Mark. Obwohl „nur“ jeder zehnte Lehrer in Ost-Berlin im Frühjar neu dazukam, müssen für diesen Personenkreis momentan 15 Prozent der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel aufgebracht werden.

Von den frischgebackenen PädagogInnen stammt nach Angaben von Laube ein großer Teil tatsächlich ursprünglich aus dem Bildungswesen - hier hat die Stasi viele MitarbeiterInnen rekrutiert. Die meisten Neueinstellungen wurden in den Stasi -Wohnvierteln Hohenschönhausen und Hellersdorf vorgenommen. Ein besonders drastisches Beispiel für die Qualifikation der neuen PädagogInnen: Ein Stasi-Offizier, bis zur Wende als Sicherheitsberater bei Interflug beschäftigt, unterrichtet zur Zeit AbiturientInnen - ausgerechnet im Fach Philosophie. Seine Lehrertätigkeit liegt mehr als zwanzig Jahre zurück. Führende Mitarbeiter des Bildungsstadtrats hatten nach seiner Amtsübernahme im Juni zunächst versucht, die Angelegenheit zu vertuschen. Die neuangestellten Mitarbeiter kämen aus dem Ausland und „frisch von pädagogischen Hochschulen“, hieß es, als Pavlik auf den Einstellungsboom aufmerksam geworden war. Jede Neueinstellung, die in dem Zeitraum vorgenommen wurde, soll nun noch einmal auf Grundlage des Magistratsbeschlusses 27/90 („Aktion Besen“) „detailliert nachgeprüft werden“, erklärte Magistratssprecher Hoßbach der taz. Bei der Überprüfung der Schulen wird es dabei kaum bleiben.

Nach Informationen von GEW-Chef Laube wurde ein Teil der ehemaligen Stasi-Offiziere auch in Kinderkrippen untergebracht.

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