Philosoph Savater über Mallorca-Anschläge: "Die ETA will keine Gespräche"
In seinem Urlaubsort auf Mallorca wurde der spanische Philosoph Fernando Savater von den ETA-Anschlägen überrascht. Er nimmt an, die Terrorgruppe wolle den Konflikt verschärfen.
taz: Herr Savater, Sie sind jetzt in San Sebastián, waren aber vor kurzem noch auf Mallorca.
Fernando Savater: Ja, ich war am 30. Juli auf Mallorca. In einem Dorf ganz in der Nähe der Stelle, an der die Polizisten ermordet wurden. Man dachte immer, dass sich die ETA nicht nach Mallorca trauen würde. Es ist ja schließlich eine Insel. Es ist nach einem Anschlag schwieriger, von dort zu fliehen. Die Sicherheit ihrer Kommandos ist der ETA auch immer sehr wichtig. So dachten wir bisher, dass dort nichts geschehen würde. Aber wir mussten ja jetzt sehen, dass es nicht so ist.
ist emeritierter Ethikprofessor der Madrider Complutense-Universität und der Universität des Baskenlandes sowie Mitbegründer des gegen die ETA gerichteten Bürgerforums "¡Basta ya!" (Es reicht), das im Jahr 2000 den Sacharow-Menschenrechtspreis des EU-Parlaments erhielt. Er gehört zudem zu den Gründern der Partei "Union, Fortschritt und Demokratie", die sich explizit gegen die Nationalismen in Spanien wendet und bei den jüngsten spanischen Parlamentswahlen 2008 einen Sitz erreichte. Fernando Savater wurde am 21. Juni 1947 in San Sebastián als Sohn eines Notars geboren. Der Schriftsteller ist einer der bedeutendsten lebenden Philosophen Spaniens. Savater versteht sich als filósofo de compañía (etwa: Philosoph aus der Nachbarschaft) in Abgrenzung zur rein akademischen Philosphie. Er vertritt eine Ethik des Willens im Gegensatz zur Ethik der Pflicht. Savater trat auch als Übersetzer von u. a. Bataille, Cioran, Diderot, Nietzsche und Voltaire in Erscheinung.
Das heißt, Mallorca ist auch für Sie ein schlechter Urlaubsort geworden?
Ja, leider ist das so. Ich bin ja auch in Mallorca, um nicht ständig von Leibwächtern begleitet werden zu müssen. Das nervt auf die Dauer schon ein wenig. Auf Mallorca fühlte ich mich frei, konnte auf den Boulevards spazieren, ohne das zuvor Personenschützern erklären zu müssen. Jetzt muss ich leider auch dort vorsichtiger werden.
Warum brauchen Sie Personenschutz?
Es sind in Spanien leider ein paar Tausend, die mögliche Ziele der ETA sind. Ich habe gegen die ETA geschrieben und Bürgerinitiativen gegen sie mitbegründet. Ich stehe auf der Liste der ETA. Genauso wie Lokalpolitiker, aber auch Künstler. In Spanien leben Tausende mit Personenschutz.
Aber Sie sind Philosoph. Ist die Philosophie so gefährlich für die ETA?
Also, Philosophen waren Leute wie Kant, da bin ich bescheidener. Ich war 40 Jahre lang Professor für Philosophie. Ich bin gerade in Rente gegangen. Natürlich ist das Denken im Baskenland gefährlich, zumindest, wenn es nicht in den nationalistischen Bahnen geschieht. Das nationalistische Denken definiert das Baskische als Gegenteil des Spanischen, beides als nicht kompatible Konzepte. Wer dieses mythologische Design baskischer Identität nicht akzeptiert, wer bei dieser blinden Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe nicht mitspielt, sondern das Konzept des modernen, gleichberechtigten Bürgers einer Polis nach griechischem Ideal dagegenstellt, lebt gefährlich.
Sehen Sie sich denn überhaupt als Basken?
Natürlich, ich bin Baske wie 60 Prozent der Basken: Mein Vater war Andalusier, meine Mutter kam aus Madrid, einige meiner Großeltern kamen in Katalonien zur Welt, andere in Buenos Aires. Ich und meine Brüder wurden jedoch alle im Baskenland geboren. Das ist ganz normal. Wir Menschen gehören ja schließlich nicht irgendwelchen Stämmen an, sondern sind das Ergebnis von Migrationen, Wanderungen. Ich bin das Ergebnis dieser Mischung. Wie viele Basken.
Wo ist dann Ihre Heimat?
Ich würde es mit Rilke sagen: Dort, wo meine Kindheit ist. Die Farben, die Gerüche, die Geschmäcker, die meine ersten Jahre begleitet haben, bestimmen schon ein Gefühl, wohin man gehört. Ich bin San Sebastián groß geworden, habe hier auch meine Jugend verbracht. Natürlich ist das nicht irgendein Ort für mich.
Zurück zu den jüngsten Anschlägen. Ist die spanische Polizei doch nicht so effizient, wenn Anschläge auf die eigenen Sicherheitskräfte offenbar recht leicht möglich sind?
Wenn es eine terroristische Gruppe gibt mit der Erfahrung der ETA, ist die totale Sicherheit sehr schwierig. Es kommt ja auch in den USA oder Großbritannien zu Anschlägen, dort von islamistischen Gruppen. Aber es stimmt auch, dass die Einrichtungen der Guardia Civil, die jetzt in Burgos und auf Mallorca zum Ziel von Anschlägen geworden sind, besser geschützt werden können. Die Polizeiwache auf Mallorca wurde nicht ausreichend bewacht. Es gibt dort keine Störsender, die Fernzündungen von Sprengsätzen verhindern könnten. Das hatte die Presse auf Mallorca schon vor Monaten kritisiert. Und in Burgos stand der Transporter mit der Sprengladung tatsächlich zu lange an dem Wohnblock der Guardia Civil. Die Polizei hatte das Kennzeichen ja sogar überprüft. Aber es war eben der gleiche Transporter, in der gleichen Farbe und mit dem gleichen Nummernschild wie der eines Obsthändlers dieser Stadt. Die ETA nutzt wirklich den kleinsten Fehler aus.
Ist die ETA also doch stärker, als bisher alle dachten?
Es gab zuletzt viele Verhaftungen. Die Zusammenarbeit der spanischen Polizei mit ihren Kollegen in Frankreich wird immer besser. Die ETA ist nicht mehr so stark wie früher. Aber die ETA hat immer noch Geld. Ihre Anschläge verübt sie mit Hilfe höchst moderner Technologie. Mit wenig Sprengstoff kann sie großen Schaden anrichten. Ihre Haftbomben sind mit einem kurzen Blick unter die Fahrzeuge nicht mehr auszumachen.
Wie sehen die Basken denn die ETA?
Die ETA ist politisch geschwächt, ohne Zweifel. Ihr politischer Einfluss im Baskenland ist sehr gering geworden. Der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg hat jüngst auch das Verbot der ihr zugehörigen Partei Batasuna bestätigt. Vor 15 Jahren lebte das Baskenland unter einer regelrechten Militärdiktatur der ETA. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Das heißt aber nicht, dass die ETA keine Anschläge mehr verüben könnte. Zumal die Leute bei der ETA jetzt offenbar aus dem schwindenden Rückhalt in der Bevölkerung den Schluss gezogen haben, sich jetzt erst recht mit der Gewalt bemerkbar machen zu wollen. Ihr Ziel ist, dass ihre Gewalt zu einem dermaßen großen Problem wird, dass die Regierung ihr früher oder später doch gewährt, was sie fordert.
Wir müssen also weiter mit vielen Anschlägen und vielen Toten rechnen?
Bei der ETA herrscht die Vorstellung, dass man den Konflikt verschärfen muss. Dass es für die Behörden früher oder später nur noch darum geht, sich dieses Sicherheitsproblems irgendwie zu entledigen. Und zwar auf europäischer Ebene. Wie etwa im Kosovo. Dort hat man sich das Problem ja auch irgendwie vom Hals geschafft, ob das nun vernünftig war oder nicht. Auch die ETA versucht, eine dermaßen unerträgliche Situation zu schaffen, dass sie bekommt, was sie verlangt. Darum geht es, nicht um einen Dialog. Wenn die ETA jetzt in den Bekennerschreiben vom Dialog spricht, dann heißt das, dass man ihr Recht geben soll. Sie will keine Gespräche.
Ist denn in Spanien noch jemand bereit, wieder zu verhandeln?
Ich hoffe nicht! Jetzt werfen einige Leitartikler dem Staat ja vor, mit seiner harten Haltung die ETA zu provozieren. Aber nein, ich glaube, weder diese Regierung noch eine kommende wird einer solchen Versuchung erliegen. Es hat sich doch erwiesen, dass die ETA kein Gespräche über ein Ende des Terrors erwartet, sondern der Regierung nur ihre Forderungen mitteilen will. Aber in ihrer Analyse setzt die ETA einfach darauf, dass mit ihren Bomben in fünf Jahren irgendeine Regierung wieder zu Zugeständnissen bereit ist.
Welche Lösung gibt es denn dann überhaupt?
Man darf die Bedeutung des Regierungswechsels im Baskenland in diesem Jahr nicht unterschätzen. Zum ersten Mal gibt es mit dem Sozialisten Patxi López einen Regierungschef, der kein Nationalist ist. Damit hat der Rechtsstaat im Baskenland erstmals eine echte Chance. Die Akzeptanz des Rechtsstaats der bis dahin regierenden bürgerlichen Nationalisten war eher eine taktische Entscheidung. Jetzt gibt es erstmals eine andere Regierung. Das wird man in den Schulen merken, in den Medien. Wir haben hier jetzt gerade in vielen baskischen Dörfern Fiestas. Da gab es dann immer diese Huldigungen an die ETA-Mitglieder in den Gefängnissen. Regelrechte Galerien mit ihren Fotos wurden aufgestellt. Das passiert in diesem Jahr erstmals nicht. Wenn wir hier vier oder fünf Jahre mal sehen, dass man Baske sein kann, ohne Nationalist zu sein, mit einer Regierung, die die Vielfältigkeit dieser Region versteht, das würde auch die ETA weiter schwächen.
Batasuna, der politische Arm der ETA, und ihre Nachfolgeparteien sind verboten, die bürgerlichen Nationalisten sind erstmals in der Opposition. Bedeutet diese Schwächung der Nationalisten auf parlamentarischer Ebene nicht gleichzeitig eine Stärkung jener Kräfte, die die Gewalt befürworten?
Nein, der Europäische Gerichtshof hat das Batasuna-Verbot bestätigt. Erstmals wurde Batasuna auf europäischer Ebene als das behandelt, was sie ist: eine Bedrohung für einen Rechtsstaat, Mitglied der EU. Aber das Problem der ETA ist nicht nur die Gewalt. Sie hat den Nationalismus im Baskenland gestützt. Und ihre Existenz hat auch die Nationalismen in den anderen spanischen Regionen vorangetrieben. Nur wegen der ETA ist der Separatismus in Spanien doch ein Thema, auch in Katalonien oder in Galicien. Die Sozialisten haben den Nationalisten zu viele Konzessionen gemacht. In den Fragen der Finanzierung der Regionen, in der Sprachpolitik. Inzwischen haben ja alle Regionen in Spanien ihren Nationalismus, selbst dort, wo es so etwas noch nie gab. Jeder wird hier Nationalist, behauptet, etwas anderes zu sein, nichts zu tun zu haben mit den anderen. Spanien, ein gemeinsamer Rechtsstaat mit einer gemeinsamen Sprache, in dem aber auch die Regionalsprachen unterstützt werden, all das ist uns verloren gegangen.
Wie beurteilen Sie das große Echo in der europäischen Presse auf die Anschläge in Mallorca?
Ich bin viel durch Europa gereist und habe heute den Eindruck, dass man früher im Ausland zu wenig über die ETA gesprochen hat und heute viel zu viel davon spricht. Die ETA ist seit Jahrzehnten enorm gefährlich, die letzte wirkliche Terrorgruppe in der EU. Aber in Europa wurde das Problem lange Zeit ignoriert. Die Leute wussten mehr über Ost-Timor als über das, was bei uns in Spanien passiert, oder redeten darüber, als gehöre die ETA zur baskischen Folklore. Jetzt gibt es Anschläge auf Mallorca und plötzlich ist das Thema überall der Aufmacher auf der Seite eins. Dabei gibt es jeden Sommer eine Terrorkampagne der ETA. Ich habe keinen Zweifel, dass ein Anschlag irgendwo in Spanien mit vielen Toten für weniger Aufmerksamkeit in der internationalen Presse gesorgt hätte als diese Anschläge auf Mallorca. Das ist wie die Schweinegrippe, die auch überall behandelt wird. Aber was wirklich dahintersteht, interessiert kaum. Selbst angesehene Medien wie die BBC sprechen immer noch von der "Separatistenorganisation ETA". Separatisten wenden aber keine Gewalt an. Die ETA ist eine Terrororganisation.
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