: Pharmaka über Laienpresse lanciert?
betr.: „Privatsache Krebs“, taz vom 4. 1. 06
Als ich die Zeitung in die Hände bekam, hat mich die blanke Wut gepackt. Als Frauenärztin bin ich ständig darum bemüht, auseinanderzuhalten, welche Informationen von welchen Leuten mit welchem Interessenshintergrund auch in der Fachpresse verbreitet werden. Das ist auch für Fachleute kaum noch auseinanderzuhalten. Die Pharmaindustrie verwendet viel Geld und Mittel darauf, ihre Neuerungen auf den Markt zu bringen, und tut das zunehmend über die Laienpresse in einem Tempo, das der Sache in aller Regel nicht angemessen ist, aber der schnellen Nachfrage dient. Eine kritische Auseinandersetzung findet kaum noch statt.
Klar ist eine Impfung gegen Krebs wunderbar – aber bevor man das in der Art und Weise unters Volk bringt, sollte man prüfen, welche Relevanz sie wirklich hat. Die Hälfte der Krebsfälle wäre durch Teilnahme an dem bisher angebotenen Screening vermeidbar, übrig bleiben vergleichsweise sehr wenig Krebsfälle – die Todesrate an Lungenkrebs, bedingt durch Rauchen, übersteigt diese Zahl um ein Zigfaches. Betrachtet man beispielsweise 1.000 Frauen, die jetzt 60 Jahre alt sind, wird in den nächsten 10 Jahren eine davon an Gebärmutterhalskrebs sterben, von den Nichtraucherinnen 5 an Lungenkrebs, von den Raucherinnen aber 65 an Lungenkrebs. Wären diese 1.000 regelmäßig zur Abstrichuntersuchung gegangen, wäre es nur eine unter 2.000, die an Gebärmutterhalskrebs in den nächsten 10 Jahren sterben wird. Völlig anders sieht die Situation in den armen Ländern der Welt aus, aus den verschiedensten Gründen.
Die Impfung ist sehr teuer, keiner weiß, wie lange der Impfschutz hält und es wird viele Jahre dauern, bis der Erfolg sichtbar sein wird, da ja sinnvollerweise nur junge Mädchen geimpft werden und auch die Krebsentwicklung über viele Jahre geht und außerdem auf die konventionelle Vorsorge nicht verzichtet werden kann, da die Impfung nur einen Teil der verantwortlichen Viren ausschaltet.
ELISABETH STEINLE-PAUL, Stuttgart