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Phantasie bewegt Eurotunnel-Kurs

An der Pariser Börse soll der Kurs der Eurotunnel-Aktien durch Falschmeldungen manipuliert worden sein / Offizielle Untersuchung eingeleitet / AFP verbreitete Falschmeldung  ■ Aus Paris Rudolf Balmer

Die Aktionäre von Eurotunnel sind einiges an Ungemach gewohnt. Vor einem Jahr, anläßlich der Kapitalerhöhung, haben offensichtlich Banken ihr Insiderwissen genutzt, um auf dem Buckel der Aktionäre Extragewinne zu erzielen. Seit Wochenbeginn geht der Kurs ihrer Aktien wie ein Jojo auf und ab, weil nervöse Anleger mit massiven Spekulationen auf gestreute Falschinformationen reagieren. Schließlich war in der vergangenen Woche ein Verlust von zwei Milliarden Mark für die Eurotunnelgesellschaft allein für 1995 prognostiziert worden.

Am Montag sackte der Kurs von Eurotunnel in Paris um fast 17 Prozent ab, weil Gerüchte über eine bevorstehende Kapitalerhöhung lanciert worden waren. Dies weckte bei den Aktionären offensichtlich schlechteste Erinnerungen. Ein zweites Mal wollten sie nicht gerupft werden.

Tatsächlich ermittelt inzwischen die Commission des opérations de bourse (COB) wegen der Gerüchte. Einige der 170.000 Kleinaktionäre hatten Verdacht geschöpft und bei der Börsenaufsicht Alarm geschlagen. Doch am Dienstag ging der fieberhafte Handel mit den Papieren des Tunnelkonzessionärs weiter. Ein cleverer „Informant“ nutzte das Panikklima, um mit einer Falschmeldung die Börse zu manipulieren. Aufgrund seiner vermeintlich offiziellen Meldung verbreitete die Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP) kurz nach der Eröffnung der Börse, rund 40 Gläubigerbanken hätten sich mit Eurotunnel über eine Schuldenstundung für die Eurotunnel-Verbindlichkeiten geeinigt. Reuter hatte den gleichen Anruf erhalten, die Meldung aber nicht verbreitet.

Diese frohe, aber falsche Nachricht war verständlicherweise Balsam für die spekulationsgebeutelte Eurotunnel-Aktie, die gerade zuvor nochmals 10 Prozent eingebüßt hatte. Ihr Kurs schnellte als Folge der AFP-Meldung sofort um mehr als 10 Prozent in die Höhe. Erst als Eurotunnel-Präsident Patrick Ponsolle eine Richtigstellung verlangte und genau wie AFP eine Klage bei der COB einreichte, begriffen die Börsianer, daß sie einem Schwindel aufgesessen waren. Inzwischen hatten aber 14 Millionen Papiere den Besitzer gewechselt, der Kurs gab nur noch leicht nach.

Nervös sind die Börsianer wegen der gewaltigen Verschuldung der französisch-britischen Tunnelgesellschaft. Sie steht bei einem Pool von 220 Banken mit rund 70 Milliarden Franc in der Kreide. Jeden Tag müßte die Tunnelgesellschaft 16 Millionen Franc für die Rückzahlung und Verzinsung ihrer Kredite aufbringen. Selbst bei optimistischen Prognosen nimmt Eurotunnel aber derzeit nicht mehr als 8 Millionen Franc täglich ein, gerade genug, das Personal und den täglichen Unterhalt zu bezahlen. Das finanzielle Gleichgewicht bleibt deswegen in weiter Ferne. Für die Zukunft zeichnet sich folglich ein Dilemma ab: Entweder Eurotunnel erklärt Konkurs (beziehungsweise die Übernahme der Konzession durch die Staaten Frankreich und Großbritannien). Dann müssen die Steuerzahler für den Tunnel aufkommen. Als andere Möglichkeit bietet sich nur die Umwandlung der Kreditguthaben in Aktien an. Die Banken wären dann auch offiziell die Herren beim Eurotunnel. Die Kleinaktionäre aber müßten sich auf weitere Hiobsbotschaften vorbereiten.

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