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Pflugradt als Täter identifiziert

■ Reinhard Engel, Anwalt des Opfers: „Die Staatsanwaltschaft hat nicht mit der nötigen Sorgfalt ermittelt“/ Pflugradt seit Dezember 1994 als Tatverdächtiger in der Akte des Staatsanwaltes

Andre'W. hat gestern bei einer Gegenüberstellung den Mann identifiziert, von dem er behauptet, er habe ihn im November des vergangenen Jahres vergewaltigt. „Andre' hat den Täter zweifelsfrei wiedererkannt“, bestätigte gestern Reinhard Engel, der Rechtsanwalt von Andre' W., gegenüber der taz. Darüber, ob es sich bei dem Mann um Helmut Pflugradt gehandelt hat, wollten sich Andre' W. und Engel nicht äußern. Nach Recherchen der taz erschien gestern mittag kurz vor 12 Uhr jedoch nur ein Mann im Sonderdezernat am Wall 196 zur Gegenüberstellung: Helmut Pflugradt. „Es gab eine Einzelgegenüberstellung, keine Wahlgegenüberstellung“, verrät Andre' W.

Wie berichtet, ist Pflugradts Haus nach Angaben der Staatsanwaltschaft von Andre' W. als Tatort identifiziert worden. Seit Mitte September – nachdem der 22jährige Belgier Pflugradt auf Pressefotos als Täter wiedererkannt haben will – wird gegen den stellvertretenden CDU-Fraktionsvorsitzenden Pflugradt wegen sexueller Nötigung ermittelt. Daß dies schon früher hätte geschehen müssen, davon ist Engel nach Akteneinsicht überzeugt. „Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen nicht mit der nötigen Sorgfalt geführt“, kritisiert er. Seit Ende Januar lag die Akte auf dem Schreibtisch des ehemaligen Oberstaatsanwaltes Hans-Georg von Bock und Polach. Von Bock war für die Sache allerdings gar nicht zuständig: Die Akte lief bis Juli diesen Jahres als sogenannte JSU-Akte, das heißt, der Täter gilt als unbekannt. Zuständig wäre demnach die Staatsanwältin für Sexualdelikte gewesen – und nicht von Bock, der für Strafverfahren gegen Abgeordnete zuständig war.

Daß die Polizei die Akte dennoch in einem verschlossenen Umschlag am 25. Januar bei ihm ablieferte, hatte vermutlich einen Grund: Bereits seit dem 2. Dezember 1994 gab es laut Akte drei Tatverdächtigte, darunter auch Helmut Pflugradt. In diesem Fall wäre von Bock tatsächlich zuständig gewesen. Es bleibt allerdings die Frage, warum er nicht ermittelt hat. „Von Bock hätte hier schon eine Lichtbilder oder Wahlgegenüberstellung veranlassen können“, sagt Engel. Stattdessen schreibt der damalige Oberstaatsanwalt einen Vermerk in die Akte: Pflugradt käme aufgrund der Beschreibung nicht als Täter in Frage. Einen Schritt, den Engel ebenfalls nicht nachvollziehen kann: „Anstatt sich auf die üblichen Beweismittel zu verlassen, verläßt von Bock sich auf die persönliche Bekanntschaft mit Herrn Pflugradt und ermittelt nicht gegen ihn als Täter“, wundert er sich. „Herr von Bock ist mir aus anderen politischen Strafverfahren als sehr penibler und wenig nachgiebiger Staatsanwalt bekannt. Wie er angesichts des Tatvorwurfs der sexuellen Nötigung in dieser Sache so ermitteln konnte, verstehe ich nicht. Von Bock bekam die Akte auf den Tisch und hat sie liegenlassen“, ist das Fazit von Reinhard Engel.

Der Oberstaatsanwalt hätte seiner Einschätzung nach zum Beispiel auch die Schwester von Andre' W. als Zeugin vernehmen können. Andre'W. hatte sie während der Tat aus dem Haus in Vegesack angerufen. „Sie ist eine wichtige Zeugin. Daß man sie bis heute nicht vernommen hat, ist mir ein Rätsel“, sagt Engel. Andre' W. wird demnächst noch einmal von der Staatsanwaltschaft vernommen werden – diesmal mit Dolmetscher. kes

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