■ Nebensachen aus Belgrad: Pfeifen auf Milošević
Das herausragende Merkmal der täglichen Demonstration der serbischen Opposition Zajedno ist der Geräuschpegel. Erzeugt wird er zuerst durch die Trillerpfeife – Belgrads Symbol in diesen Tagen. Dem Tschetnik hängt die Pfeife im Bart, die eleganteren Damen tragen sie an einem Lederband um den Hals. Gediegen aussehende Bürger pfeifen auf ihr wie Kinder, denen es Spaß macht, die Eltern mit ein bißchen Lärm zu terrorisieren. Professoren machen es ihren Studenten nach. Kurz: Am Nachmittag pfeift jeder, was die Lunge hergibt. Wenn Zajedno zur Demonstration loszieht, hallt ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert durch die Straßen. Ein neues Berufsbild hat sich dabei entwickelt, das des Trillerpfeifenverkäufers. Inmitten der Demonstration steht er und hält seine Geräuschinstrumente hoch. Als Nebenerwerbsquelle wird dieser Berufszweig auch von Rentnern genutzt, die täglich ihre Stände aufbauen. Zu haben sind sowohl die dezenten schwarzen, Marke Schiedsrichter, als auch die etwas preiswerteren papageifarbenen. Von Angebot und Nachfrage her gesehen, ist es nicht zuviel vermutet, daß die Trillerpfeifenproduktion derzeit die Wachstumsbranche schlechthin in Serbien ist.
Nur extravangante Belgrader verfügen über die Trillerpfeife mit Schnappverschluß. Sie läßt sich problemlos an den Revers von Mänteln anhängen. Bevorzugt zu sehen sind sie in Knopflöchern von Nerzmänteln oder vergleichbar teuren Stoffen.
In Mode gekommen sind auch Tuten, die einen dumpfen hornartigen Klang abgeben, der es gut und gern mit hundert Trillerpfeifen aufnehmen kann. Da sie aber das Fünffache einer Pfeife kosten, läßt ihre Verbreitung noch sehr zu wünschen übrig. Genutzt werden sie meist von sportlichen Jugendlichen.
Ältere Frauen wiederum bevorzugen kleine Klingelglöckchen. Sie erzeugen einen hellen Ton, der den Nachteil hat, daß er nur in unmittelbarer Nähe der Klingelglöckchen-schwingenden Dame zu vernehmen ist. Gustiert wird denn auch weniger das Geräusch, als der erkennbare Wille, zu dem demonstrativen Lärmpegel, das ihrige beizutragen.
Nun gibt es sensible Bürger, die sich dem Anliegen nicht verschließen wollen, deren Ohren aber dem Tönen Zehntausender Trillerpfeifen nicht gewachsen sind. Sie greifen also zu Wattebäuschchen. Da aber die aus den Ohren herausstehenden Wattebäuschchen nicht gerade ein ästhetischer Anblick sind, nehmen vor allem Herren im mittleren Alter zum Kopfhörer Zuflucht.
Der anhaltende Geräuschpegel hat auch die Wissenschaft auf den Plan gerufen, namentlich die Psychologie. Die demonstrative Gewaltlosigkeit der Zajedno- Umzüge wird von der Psychologie damit erklärt, daß sich die angestaute Wut über den Diebstahl der Stimmen bei der letzten Kommunalwahl über die Trillerpfeife Luft macht. Wenn diese Theorie zutrifft, müßte die Trillerpfeife auch als psychologisches Heilmittel anerkannt werden. Das Patent dafür gebührte dann zweifellos Zajedno. Georg Baltissen
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