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Pfade des Erinnerns

Ein bewusst vergängliches Projekt Hannah Hurtzigs in den Kammerspielen  ■ Von Petra Schellen

Nein. Zu diesem Projekt wird es keine Dokumentation geben. Keinen Mitschnitt, keinen Katalog, kein Gästebuch oder Poesiealbum, in dem die zu Tage geförderten Erinnerung archiviert würden. Denn die „Filiale für Erinnerung auf Zeit“, die Hannah Hurtzig vom 2. bis zum 6. September in den Kammerspielen inszenieren wird, soll ausdrücklich kein neues Archiv sein: „Erinnerung ist ein temporärer Vorgang, ein intimer außerdem, und deshalb soll einzig das gesprochene Wort im Gedächtnis haften bleiben“, erklärt die Künsterin. Die gesprochenen Worte all jener Künstler, Wissenschaftler, Medientheoretiker und Archivare sind gemeint, die sich über Erinnerungs- und Gedächtniskunst unterhalten und sich dem Publikum nur über Videoleinwände präsentieren werden. Einige wenige Donwloads lang werden die Gespräche auch im Internet stehen – um dann für immer zu verschwinden.

Der Ausgangspunkt des von Hannah Hurtzig, Ulrich Waller und Anselm Frank initiierten Projekts, zu dem – neben Wissenschaftlern und Künstlern wie Hannes Heer, ehemaliger Leiter der Wehrmachts-Ausstellung, und Julius Deutschbauer, Erschaffer der „Bibliothek der ungelesenen Bücher“ – rund 40 weitere Gesprächspartner erwartet werden? Ist jene Epoche in der Geschichte der Kammerspiele, als das Gebäude – Anfang dieses Jahrhunderts – als jüdisches Logenhein diente. Und jene Ära, in der das Haus – nach 1937 – Sitz des Jüdischen Kulturbundes war.

Doch ein Mahnmal ist es nicht, was Hannah Hurtzig in den Kammerspielen inszenieren will, Monumental-Statisches zu schaffen nicht ihr Anliegen: „Es kann nicht meine Aufgabe sein, rückwirkend zu definieren, was der Ort als Erinnerungsort zu bedeuten hat.“ Nein: Sie will das Gebäude beleben, und zwar alle Räume vom Keller bis zum Dachboden, von der ehemaligen Küche bis zum Stellwerk.

Führungen soll es geben, die die Besucher auf verschlungenen Wegen durch die unzähligen Zugänge und Feuertreppchen geleiten werden. Gespräche über Erinnerungs- und Gedächtniskunst sollen die Künstler und Wissenschaftler währenddessen führen, die sich aber keineswegs nur der jüdischen Epoche des Kammerspiel-Gebäudes widmen werden.

Der Vorgang des Erinnerns soll vielmehr Thema der Dialoge sein, in denen unter anderem Christoph Schlingensief an drei Tagen je vier Stunden lang aus seinem Leben erzählen wird. „Wir wollen die Besucher mit einem ununterbrochenen Redefluss konfrontieren, der danach nur noch in der Erinnerung weiterexistiert“, betont Hannah Hurtzig. Und wer kann schon sagen, was Dichtung und was Wahrheit ist, wenn einer von seinem ers-ten Schultag erzählt?

Aber um Wahrheit geht es auch gar nicht: Die Authentizität des Vorgangs, die live-Erinnerung ist es, die Hannah Hurtzig fesselt – und nicht der Versuch, harte Fakten der Vergangenheit zu ergründen.

Sinnliche Fakten werden deshalb auch kaum geschaffen bei diesem denk-würdigen Projekt: Mit den „Berühmtheiten“ sprechen oder sich durchs Haus führen lassen kann nur, wer sich vorher anmeldet; einzig über Video-Leinwände im großen Bühnenraum und über Kopfhörer wird das Publikum die Gespräche verfolgen, sich vielleicht gelegentlich – durch botenüberbrachte Notizen – ins Gespräch einschalten können.

Ein ewiges Kreisen in exzentrischer Bahn um das Wesentliche, nämlich die in verschlossenen Räumen anwesenden Diskutanten, die sich in intimer Dialog-Atmosphäre zu erinnern versuchen, soll hier inszeniert werden, auch ein wenig gespielt werden mit dem Publikum, das niemals ganz heranreichen wird an das, was hinter diesen Türen wirklich passiert. Vielleicht symbolisieren die kleinen Gesprächsräume auch Erinnerungs-Parzellen oder die berühmten dunklen Ecken, die jeder mit sich herumträgt und in die man ja tunlichst auch nur unter beträchtlichen Vorkehrungen vordringt.

Vielleicht ist er also ganz gut, der Abstand zu den live-Geschichten, vielleicht die Konfrontation der Besucher miteinander – sie sitzen einander teils frontal gegenüber – ganz heilsam, um jene beunruhigende Distanz aufzufangen, die die mediale Präsentation des Themas mit sich bringt - und um die Spannung zwischen privatem Erinnerungs-Vorgang und seiner öffentlichen Präsentation umso stärker zu spüren. Und womöglich wird auf diese Art das Haus tatsächlich nachhaltig als Ort aktiven Erinnerns wieder belebt, bei dem es manch dunkle Ecke auszuforschen, manch dunklen Gang zu durchschreiten gibt, den man mit Neugier, aber auch mit leiser Furcht betritt.

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