Petersberger Klimadialog: Deals mit dem schlechten Gewissen

Bei der 13. Auflage des internationalen Ministertreffens geht es darum, Schadenersatz für arme Länder voranzubringen. Das Thema war jahrelang tabu.

Mehrere Menschen staken sich auf einem flachen Boot durch überflutete Straßen mit bunten Häusern

Loss and Damage: Wer kommt für Klimaschäden wie hier bei Überflutungen in Bangladesch 2020 auf? Foto: Rafayat Khan/imago

BERLIN taz | Der Hurrikan „Maria“ traf die Karibikinsel Dominica am 18. September 2017. Mit Windstärken bis zu 250 Stundenkilometern zerstörte er 90 Prozent aller Hausdächer, überflutete mit Regengüssen und anschwellenden Flüssen die Insel, zerstörte die Ernten, die Wasser- und Stromversorgung. 80 Prozent der Bevölkerung, 65.000 Menschen, waren nach Angaben der Regierung direkt betroffen, 31 starben, 39 wurden vermisst.

Und „Maria“ war für Dominica auch eine Wirtschaftskatastrophe: Die Schäden an Gebäuden und Häusern, die Verluste bei Tourismus und Landwirtschaft summierten sich auf 1,3 Milliarden Dollar – mehr als das Doppelte der gesamten Wirtschaftsleistung des armen Karibikstaates. Übertragen auf Deutschland hieße das: ein Schaden von 7 Billionen Euro.

Um Hilfe für die ärmsten Länder und einen Ausgleich für ihre immensen ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Schäden durch die Klimakrise dreht sich deshalb jetzt die heißeste und bitterste Debatte bei den UN-Klimaverhandlungen: Das Tauziehen um „Loss and Damage“, also Verluste und Schäden, wird damit zum entscheidenden Thema der Konferenz COP27 im ägyptischen Sharm el Sheikh im November und der nächsten Jahre. Auch beim „Petersberger Klimadialog“, der ab dem heutigen Montag auf Einladung der Bundesregierung stattfindet, steht das Thema ganz oben auf der Tagesordnung.

Die „afrikanische COP“ im November will unter der Führung Ägyptens Erfolge vorweisen, und auch der jahrzehntelange Widerstand der Industrieländer wird schwächer. „Wir brauchen jetzt mehr Kreativität bei solchen Lösungen“, heißt es aus der Bundesregierung. Ein anderer hochrangiger Vertreter eines Industrielandes sagte bei der Konferenz in Glasgow: „Bei Loss and Damage muss dringend etwas passieren. Den Leuten fliegen die Häuser weg, und wir tun nichts. Das geht so nicht.“

Unverbindlich, ohne Ziel, ohne Enddatum

Ein Jahrzehnt lang ging das aber durchaus so. Schon 2013 wurde bei der UN-Klimakonferenz der sogenannte Warschau-Mechanismus vereinbart – nach einer emotionalen Rede des philippinischen Delegierten Yeb Sano, der vom Leiden seiner Familie im Taifun „Hayan“ sprach, der zeitgleich zur Konferenz die Philippinen verwüstete. Allerdings war der Mechanisimus, ähnlich wie das 2019 beschlossene Santiago-Netzwerk, zum großen Teil ein Forum für unverbindliches Reden. Auch in Glasgow wurde nur ein Dialog zum Thema eingerichtet, ohne Ziel und Enddatum.

Wirklichen Fortschritt gab es in den letzten Jahren vor allem bei Versicherungslösungen wie der Munich Climate Insurance Initiative (MCII), die der Rückversicherungskonzern Münchner Rück 2005 mit NGOs und Geberländern ins Leben rief. Bislang sind 98 Prozent der Klimaschäden in armen Ländern nicht versichert. Für solche Verluste sollen diese nun im Zweifel schnell und unbürokratisch entschädigt werden.

Jährlichen geschätzten Verlusten von 250 Milliarden US-Dollar stehen etwa 400 Millionen der MCII entgegen. Aber diese Deals haben Vorteile auf vielen Seiten: Die Betroffenen bekommen schnell und effizient Hilfe, die Versicherungskonzerne erhalten einen Einstieg in potenzielle Märkte der Zukunft. Und die Industriestaaten leisten Hilfe, erkennen aber keine rechtliche Verpflichtung dafür an.

Historische Schuld

Das große Problem bei Loss and Damage heißt nämlich Verantwortung oder historische Schuld. Alles, was darauf hinausläuft, die klassischen Industrieländer für ihren CO2-Ausstoß der letzten 150 Jahre in die rechtliche Verantwortung zu nehmen, ist für diese ein rotes Tuch. Ihre Angst: Gestehen sie zu, dass sie Schadenersatz leisten müssen, könnten endlose Klagen und im Zweifel Urteile über Ausgleichszahlungen folgen, die an ihre Existenz gehen. Bei den Verhandlungen sitzt den Forderungen nach verlässlicher Hilfe für die armen Länder in Klimanotfällen deshalb häufig das schlechte Gewissen der reichen Verursacher des Problems gegenüber.

Auch deshalb beugen sich an einem heißen Juninachmittag in einem voll besetzten Seminarraum des Bonner Konferenzzentrums etwa 100 Menschen aus der globalen Klimaschutzszene über ihre Smartphones. „Schreibt auf, welche Begriffe euch zu Loss und Damage als Erstes einfallen“, hatte Harjeet Singh vom Climate Action Network bei diesem Workshop am Rande der UN-Klimaverhandlungen gesagt. „Verantwortung“, „Reparationen“, „Schadenersatz“ steht nun da. Singh wirbt seit Jahren für eine Loss-and-Damage-Regelung und sagt: „Diese Sprache nutzen wir heute kaum noch. Vor zehn Jahren haben wir unsere Begriffe gezähmt, weil wir hofften, etwas dafür zu bekommen. Das war eine Illusion.“

Tatsächlich ist effektiv wenig passiert. Arme Länder und Advokaten der Klimagerechtigkeit haben ihre radikale Sprache gedrosselt. Heute stellen sie nicht mehr die Schuld der Reichen in den Vordergrund. Aber die großen Themen bei den COPs sind immer noch Emissionssenkung (Mitigation), Finanzierung (das noch unerfüllte Versprechen von 100 Milliarden Dollar Krediten und Zuschüssen pro Jahr ab 2020) und Anpassung an den Klimawandel (Adaptation). Erst dann kommt Loss and Damage.

Was aber passiert, wenn Anpassung nicht mehr reicht, ist in der eskalierenden Klimakrise immer deutlicher geworden. Eine Fallsammlung der Thinktanks IIED und ICCCAD hat 2021 einige anschauliche Beispiele gesammelt: In Tansania etwa belasten abwechselnd Dürren oder Überflutungen die Infrastruktur; in Indien leidet die Region Chitrakoot immer stärker unter extremer Hitze und Wassermangel; in Bhutan bedroht die Gletscherschmelze Dörfer und Straßen; in Sri Lanka verändert Migration aufgrund von Klimawandel die Gesellschaft; in Java und Bangladesch verliert die Bevölkerung ihr Land an den steigenden Meeresspiegel; am Tschadsee wird der Klimawandel zum Sicherheitsrisiko.

Kritische Masse erreicht?

„Viele Länder erleben neue Formen der Klimaeinflüsse von hoher Intensität, auf die sie nicht angemessen reagieren können“, heißt es im Report. „Die Kapazitäten der Länder und Gemeinschaften werden derart überbeansprucht, dass sie sich nicht mehr an den Klimawandel anpassen können.“ Die Empfehlung der AutorInnen ist klar: „Schäden und Verluste passieren jetzt. Wir müssen dringend neue Herangehensweisen finden oder auf alten aufbauen, um den immer diverseren Klimarisiken von heute und in der Zukunft zu begegnen.“

Dafür haben die Entwicklungsländer nun klare Forderungen, sagt auch Madeleine Diouff Sarr vom Umweltministerium des Senegal und Leiterin der Gruppe der ärmsten Länder: „Für uns ist es wichtig, Loss and Damage endlich in den formellen Prozess der Verhandlungen aufzunehmen“, sagt sie – als regelmäßigen Tagesordnungspunkt bei den UN-Verhandlungen, wo über die Finanzierung geredet werde. Zudem brauche es eine „Finanzfazilität“ dafür. Das ist eine Institution mit eigenem Personal und Strukturen, die sich um Geld für solche Maßnahmen kümmert. „Wir brauchen Meilensteine auf dem Weg zu einem klaren Fahrplan und für die Finanzierung“, so Diouff Sarr.

„Es hat sich eine kritische Masse gebildet, die das Thema nach vorn bringt“, sagt auch Christoph Bals, Experte der Klima- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Die Klimakrise sei nicht mehr zu ignorieren. „Seit der Katastrophe im Ahrtal mit 30 Milliarden Euro Schäden wissen wir auch in Deutschland, was Verluste und Schäden im Klimawandel sind.“ Dazu komme: Die sogenannte Zuordnungswissenschaft, die Attributionsforschung, kann immer deutlicher bestimmen, wie viel Klimawandel in einer Naturkatastrophe wie etwa einer Hitzewelle steckt.

Das Treffen Der Petersberger Klimadialog ist eine informelle internationale Gesprächsrunde auf Minister:innenebene. Er findet am 18. und 19. Juli statt.

Der Plan Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hat angekündigt, „einen neuen globalen Klimarisiko-Schutzschirm vorstellen“ zu wollen. „Wir bringen damit ein konkretes Angebot für den Umgang mit künftigen Klimaschäden in Entwicklungsländern in die internationalen Klimaverhandlungen ein“, sagte sie.

Und immer bedrohlicher für Konzerne und Staaten werden auch Klagen, die sie für Klimaschäden haftbar machen. Germanwatch etwa unterstützt seit Jahren einen peruanischen Bergführer, der RWE verpflichten will, den Schutz seines Heimatorts mitzufinanzieren: Der schmelzende Gletscher sei teilweise auch von RWEs CO2-Emissionen verursacht. Einen grundsätzlichen Beschluss des Gerichts, dass es eine solche Verantwortung geben könne, haben die Kläger schon erreicht.

Bals kann sich auch einen Kompromiss vorstellen: einen regelmäßigen Tagesordungspunkt für Loss and Damages und dann ergänzend zu den zähen Verhandlungen für eine offizielle „Fazilität“ zunächst eine „Koalition der Willigen“ als Schrittmacher – Staaten, die sich freiwillig zusammenschließen und Kriterien und Finanzmittel für Hilfen festlegen.

In Glasgow hat Schottland einen Anfang gemacht und eine Million Britische Pfund versprochen – wenig Geld, aber ein Symbol, ein erstes Mal, dass ein Industrieland Geld für diese Verluste zur Verfügung stellt. Potenzielle Geber treffen sich nun beim Petersberger Klimadialog.

Die Summen sind gewaltig, aber für die Finanzierung haben zumindest die KlimaschützerInnen vom Climate Action Network Ideen. Sie fordern etwa eine weltweite Steuer auf fossile Treibstoffe. Oder schlicht Staatsverschuldung: „Wir haben gesehen, dass Geld im Zweifel nicht das Problem ist“, sagte ein Teilnehmer, was zähle, sei der politische Wille. „Bei Covid und der Aufrüstung wegen des Ukrainekriegs war in den Industriestaaten sehr viel Geld verfügbar.“

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