Peter Niemeyer über Darmstadt 98: „Unsere Geschichte findet jeder geil“
Der überraschende Erfolg von Darmstadt 98 sei simpel zu erklären, sagt Peter Niemeyer. Außerdem outet er sich als Fußball-Romantiker.
taz: Herr Niemeyer, Sie treten am Samstag bei Ihrem Ex-Verein SV Werder an. Welche Erinnerungen kommen da hoch?
Peter Niemeyer: Das Weserstadion war dreieinhalb Jahre mein Wohnzimmer, in dem ich sehr, sehr schöne Erlebnisse gehabt habe. Ich habe dort Champions League und Uefa-Cup spielen dürfen, ich habe für Bremen mein erstes Bundesligaspiel gemacht und mein erstes Bundesligator erzielt.
Sie haben für Werder zwischen 2007 und 2010 nur 32 Bundesligaspiele gemacht. War damals die Konkurrenz zu stark?
Bremen war zu dieser Zeit ein absoluter Topklub, mit dem FC Bayern die führende Kraft. Um in solch einer Mannschaft dauerhaft zu spielen, muss alles zusammenpassen. Ich bin leider oft durch Verletzungen zurückgeworfen worden. Trotzdem habe ich große Highlights erlebt.
Wäre der Klassenerhalt mit dem SV Darmstadt 98 genauso hoch einzuschätzen wie der Pokalsieg 2009 mit dem SV Werder?
Klar, auf jeden Fall. Jeder Verein hat bestimmte Ziele. Mit Werder war es das Vorhaben, Titel zu gewinnen. Jetzt ist es der Klassenerhalt.
Warum gelingt es den Lilien, mit dieser Ansammlung von Aussortierten nach 22 Spieltagen so gut dazustehen?
Wir haben gerade bei den Bayern bewiesen, dass bei uns fast 20 Akteure eine Berechtigung besitzen, in der Bundesliga zu spielen. Daher sollte man lieber von einer Gemeinschaft sprechen, die sich etwas erarbeitet hat. Wir legen Tugenden an den Tag, von denen jeder sagt, sie seien so einfach, aber wir verkörpern sie komplett.
32, begann seine Profikarriere in den Niederlanden beim FC Twente, spielte für Werder Bremen und Hertha BSC Berlin und bestritt sechs Auswahlspiele für die deutsche U21-Auswahl.
Sie haben nach dem Auswärtssieg in Hoffenheim wörtlich betont, in Darmstadt reißen sich alle den Arsch auf.
Würden sich elf Egoisten alleine den Arsch aufreißen, gewinnt eine Mannschaft keinen Blumentopf. Es muss schon eine gemeinsame Idee dahinterstehen.
Es soll in Darmstadt besondere Regeln für Ernährung geben …
… aber man sollte nicht versuchen, hier krampfhaft irgendeinen Schlüssel zu finden. Es sind wirklich schon viele daran gescheitert, das Darmstädter Erfolgsgeheimnis zu ergründen. Es ist doch ganz simpel: Jeder geht für jeden durchs Feuer. Und jeder stellt sein Ego zurück.
Haben Sie mit 32 Jahren in Darmstadt noch etwas gelernt?
In meinen anderen Vereinen gab es etliche Spieler, die qualitativ besser waren. Aber ich habe dann immer wieder erlebt, dass Einzelne ausbrechen.
Sie haben in der Winterpause gesagt, es ist in Zeiten, in denen immer mehr fremdfinanzierte Klubs in die Bundesliga drängen, etwas Besonderes, für einen Kultklub zu spielen.
Egal wo ich hinkomme, wird mir etwas Positives entgegengebracht. An der Tankstelle, beim Bäcker oder auf der Straße. Und es ist ganz egal, ob einer Bayern-, Dortmund- oder Werder-Fan ist: Unsere Geschichte findet irgendwie jeder geil und sagt: Schön, dass es so etwas im Profifußball noch gibt.
Brauchen Sie so ein Stück Romantik? Spielen Sie lieber in so einem alten Stadion wie am Böllenfalltor?
Ja, ich bin da Romantiker. Zumindest ab und zu, denn wir haben ja alle zwei Wochen das Vergnügen, in einer modernen Arena zu spielen (lacht).
Wie nehmen Sie die Arbeitsweise von Dirk Schuster wahr?
Ich halte es bei einem Trainer für am wichtigsten, authentisch zu sein. Nur das zu sagen, was man meint und wofür man steht. Er passt genau in die Philosophie dieses Vereins. Ich habe selbst mit einem Trainerschein angefangen – und da kann ich von Dirk Schuster lernen. Denn nur mit dieser Glaubwürdigkeit ist der Spieler bereit, für den Trainer alles zu tun.
Sie machen den Trainerschein?
Ich mache ein Praktikum bei einem Stützpunkttraining. Das ist eine Voraussetzung, um den Schein zu erwerben. Ich finde diesen Job interessant.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste