: Per Taxi zum Guerillatreff
Der Waffenstillstand machts möglich: Reporter können sich auf der Zuckerinsel Negros unweit der Hautpstraße mit Kämpfern der linken „New Peoples Army“ (NPA) zum Plausch verabreden. Statt, wie bislang üblich, lange Fußmärsche zu absolvieren, können Reporter nun bis zur letzten Weggabelung mit dem Taxi vorfahren. „Bitte nicht stören, vertraulicheBesprechung, gez. Jocel“ steht auf dem kleinen Schild am Eingang der Bambushütte. Sanft streicht der warme Sommerwind durch den Raum dahinter, in dem zehn junge Frauen angestrengt über Zahlenkolonnen brüten. Ab und an dringen leise Wortfetzen ihrer Diskussion in der philippinischen Regionalsprache Ilongo nach draußen, Hühner gackern, Kinder spielen und nebenan bereitet eine Bauersfrau das Mittagessen für die ganze Truppe vor. Alltag in einer sogenannten „Red Area“, einem von der linken „New Peoples Army“ politisch kontrollierten Gebiet. Der friedliche Ort liegt nicht etwa fernab in den Bergen, sondern eine halbe Autostunde östlich der Provinzhauptstadt Bacolod auf der Insel Negros inmitten von Mais– und Zuckerfeldern. Vor knapp drei Wochen ist der Waffenstillstand zwischen der philippinischen Armee und der NPA in Kraft getreten, und die Sicherheitsbestimmungen der Guerilla sind locker. Binnen weniger Tage hat die National Demokratische Front (NDF), die politische Organisation der Guerilla, unserem Wunsch entsprochen, „doch mal ein paar Kämpfer zu treffen“. Finanzsorgen Genosse Jocel, der uns von Bacolod aus begleitet hat, ist ein unauffälliger Enddreißiger mit Brille und seit fast 20 Jahren in der Bewegung. Heute organisiert er die Arbeiter in der NDF. „Ja“, erklärt er uns das von ihm unterschriebene Schild vor der Hütte, „Die Bewegung hat Geldsorgen. Die jungen Frauen drinnen sind für die Buchhaltung dieser Guerillafront, einer von vieren auf der Insel Negros, zuständig, und sie halten heute eine Art Krisensitzung zur Finanzlage ab. Die NDF hat rund 42.000 Mitglieder in diesem Gebiet organisiert, aber aufgrund der Wirtschaftskrise ist die Zahlungsmoral schlecht: „Statt der benötigten 50.000 Peso sind in diesem Monat nur 26.000 zusammengekommen.“ Die sogenannten revolutionären Steuern werden auf freiwilliger Basis erhoben, die Bewegung will niemanden unter Druck setzen und Aktionen gegen besonders ausbeuterische Landbesitzer würden von Militär und Regierung als Bruch des Waffenstillstandes betrachtet. So heißt es vorerst: Gürtel enger schnallen. Die Essensrationen der Kämpfer und Kader werden auf Reis, Fisch und Knollenfrüchte reduziert. Denn auf ausländische Unterstützung kann die NPA, die zur Zeit stärkste Guerilla Asiens, praktisch nicht zurückgreifen. Alles ganz relaxed Wie verbringt ein Guerillero denn so seine Tage?, will ich von Ronnie wissen, einem „Comrade“ in schicker grüner Kampfmontur(“Beutestück von der Armee“). „Relaxed“, grinst er, und so sieht er auch aus. Zumindest in diesem Teil der Philippinen scheint man großes Vertrauen in die Ehrlichkeit des Militärs zu setzen. Trotzdem sind Ronnie und seine Freunde mit den üblichen M 16 Armalite–Gewehren bewaffnet, denn: „Das ist die Politik der Partei und wer weiß, was bei den Verhandlungen rüberkommt.“ So hat sich am Alltag der Kämpfer vorerst wenig verändert. Zwischen vier und fünf Uhr früh heißt es aufstehen. Es folgt eine Stunde Fitnesstraining, und um 6 Uhr gibts Frühstück.Dann bis zum Mittag studieren, planen, organisieren. In gewissem Sinne, so kla gen die Comrades in vielen Regionen, gibt es jetzt sogar noch mehr zu tun als sonst. Die Zeit des Waffenstillstands und die damit verbundene Bewegungsfreiheit sollen optimal für die Gewinnung neuer Sympathisanten genutzt werden. Die Nachmittage werden entweder mit Finanzbeschaffung oder mit Feldarbeit verbracht. Die NPA kann sich bei ihrer Versorgung nicht allein auf die Spenden Wohlwollender verlas en. So müssen die Kämpfer zusätzlich in den kontrollierten Gebieten oder auf brachliegendem Land von sympathisierenden Landbesitzern Grundnahrungsmittel anpflanzen. 375 Hektar sind es bisher in dieser Guerillafront. Doch, so versichern Jocel und Ronnie unisono, zur Ernährung reicht das bei weitem nicht, zumal es an Dünger und Wasserbüffeln mangelt. Abends wird gelesen. „Marx, Lenin, Mao.“ Genosse Ronnie ist 1980 über die KP zur Guerilla gekommen. Was sie aus diesesn Büchern lernen? Leichte Verlegenheit und längere Debatten mit den anderen. Schließlich erklärt Ronnie: „Na ja, wie das so ist mit der Revolution, voher und nachher ..“ Jocel hilft nach: „... und daß die Städte vom Land her eingekreist werden müssen ...“ die NPA gilt als maoistisch orientiert. Eigentlich aber, so versichern beide, „beschäftigen wir uns mehr mit dem Waffenstillstand.“ Was sie von Aquino halten? Wieder lange Debatten, die Initiative geht an Jocel, den Theoretiker, über: „Nach den Wahlen im Februar 86 haben wir sie unterstützt, weil das Volk sie unterstützt hat. Wir studieren sie noch, aber wir haben den Eindruck, daß die Militarisierung nachgelassen hat. Weniger Morde, weniger Bedrohung, und der Waffenstillstand ist gut für das Volk.“ „Das Militär kommt hier nicht hin“, sagt auch Ronnie. Die NPA gibt die Waffen nicht ab, aber geschossen wird nicht. Keine revolutionären Prozesse und keine Morde an Feinden des Volkes während des Waffenstillstandes, ist die allgemeine Ansicht. Die jungen Frauen sind mit ihrer Besprechung fertig und kommen aus der Hütte heraus. Sie sind alle zwischen 18 und 25 und teilweise bildhübsch. Auch die Kämpfer sind jung. Der NPA–Sittenkodex verbietet nichtformalisierte Liebesverhältnisse. Gibt es keine Probleme? „Nein“, sagt Ronnie .Seine Frau ist, der offiziellen Politik entsprechend, auch aus der Bewegung. Beide haben mit dem Segen des Parteikollektives geheiratet, und die Großeltern passen auf das gemeinsame Kind auf. Und was ist, wenn sich doch mal zwei jenseits der ideologischen Richtlinien verlieben? „Das hängt von der Schwere des Falles ab. Es gibt eine Verhandlung im Kollektiv,und wahrscheinliczh wird man zu zusätzlicher Landarbeit verdonnert.“
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