: Pazifismus unvereinbar mit der Kirche
■ Ungarische Bischöfe fürchten um ihr Verhältnis zum Staat und gehen gegen die Kriegsdienstverweigerer in den Basisgemeinden vor
Aus Budapest Hubertus Knabe
Ein junger Mann klingelt eines Abends an meiner Budapester Wohnungstür. „Können Sie nicht etwas für die ungarischen Wehrdienstverweigerer tun?“, fragt er bescheiden. „150 von ihnen sitzen ständig im Gefängnis. Ich selber habe drei Jahre Haft hinter mir - mit 50 Menschen in einer Zelle, die für 12 oder 15 Personen gebaut wurde.“ Der junge Mann ist Katholik, er hat Theologie studiert und verdient seinen Lebensunterhalt in Ungarn als Hilfsarbeiter. Seit Jahren führt er einen einsamen Kampf für die gesetzliche Zulassung eines zivilen Wehrersatzdienstes in seinem Land. So wie er weigert sich im sozialistischen Ungarn eine wachsende Zahl junger Katholiken, den Dienst mit der Waffe abzuleisten. In der Regel werden sie zu Haftstrafen zwischen zwei und drei Jahren verurteilt. Die meisten von ihnen sind Anhänger eines fundamentalistischen Christentums, die sich in kleinen Basisgemeinden zusammengefunden haben. Führer der Bewegung ist Pater György Bulanyi, der die Lehre von einer armen und friedlichen Kirche ohne Privilegien verkündet. Zogen die Basisgemeinden früher vor allem Mißtrauen und Verfolgung des Staates auf sich, so haben seit Mitte der siebziger Jahre die ungarischen Bischöfe es selber übernommen, die Fundamentalisten in ihren Reihen zum Verstummen zu bringen. Der Streit um die Basisgemeinden und ihren christlich motivierten Pazifismus führte vor allem in der Amtszeit des Ende Juni verstorbenen Primas, Kardinal Laszlo Lekai, zu heftigen Auseinandersetzungen. Eine Protestwelle erschütterte die ungarische Kirche, als zwei Jugendpriester, die den Basisgemeinden nahestanden, aus Budapest verbannt wurden. Viele Katholiken machten dem Primus Vorhaltungen, als er Pater Bulanyi die Ausübung seines Priesteramtes untersagte und den Pazifismus als unvereinbar mit der Lehre der Kirche bezeichnete. Die ungarische Bischofskonferenz hat überdies gegen die Lehren des Paters ein Verfahren vor der römischen Glaubenskongregation angestrengt. Dieses stützt sich vor allem auf eine Schrift, die dem Pater zugeschrieben wird, von ihm jedoch als ein Werk der Geheimpolizei bezeichnet wird. Der Vorsitzende der Kongregation, Joseph Kardinal Ratzinger, hat in einem Brief an den Pater gefordert, er solle seine förmliche Zustimmung zu den Dogmen der Kirche erklären. Das achtseitige, in strengem Ton gefaßte Schreiben verlangt von Pater Bulanyi, seinen „irrtümlichen, gefährlichen und zweideutigen Lehren“ abzuschwören. Die Glaubenskongregation verwirft vor allem seine Aussagen zur Gewissensfreiheit des Christen und zur Struktur der Kirche, die in der Zukunft auch auf den Basisgemeinden ruhen könne. Der Brief aus Rom hat die Basisgemeinden in einer besonders schwierigen Lage erreicht. Die ungarische Bischofskonferenz steht durch den Tod des bisherigen Primas und durch die Überalterung in den eigenen Reihen unter Druck, denn die vakanten Stellen können gemäß einer Vereinbarung zwischen Staat und Kirche nur mit staatlicher Zustimmung neubesetzt werden. Diese soll in nerkirchlichen Gerüchten zufolge davon abhängig gemacht worden sein, daß die Kirche sich von den Basisgemeinden distanziert. Vor diesem Hintergrund haben die ungarischen Bischöfe nun erstmals eine gemeinsame Erklärung zur Frage der Wehrdienstverweigerung vorgelegt, die ihre volle Loyalität gegenüber dem ungarischen Staat zum Ausdruck bringt. In der Verlautbarung, die von den ungarischen Medien ausführlich zitiert wurde, ist von Anklagen die Rede, daß sich die Bischöfe nicht um diejenigen kümmerten, die den Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigerten. Die Bischöfe zitieren demgegenüber die Lehren des II. Vatikanischen Konzils, die dem Staat das Recht und die Pflicht zuerkannten, die Heimat zu schützen und den Bürger zum Wehrdienst heranzuziehen. Gleichzeitig sollten jedoch danach verständnisvolle gesetzliche Bestimmungen für jene bestehen, die aus Gewissensgründen den Wehrdienst ablehnen, aber bereit sind, in einer friedlichen Form der menschlichen Gemeinschaft zu dienen. In der ungarischen Volksrepublik, so heißt es weiter, habe jeder Bürger die Pflicht zum Schutz der Heimat. Diesem Ziel sowie der Erhaltung des Friedens und der Stärkung der öffentlichen Sicherheit diene der ungarische Militärdienst. Die Gefahr eines militärischen Konfliktes mache es zur Aufgabe jedes wohlmeinenden Menschen, alle zur Verfügung stehenden gesetzlichen Mittel zu nutzen, um den Frieden zu erhalten und zu sichern. Ob diese Argumente die Wehrdienstverweigerer befriedigt, ist wohl kaum anzunehmen. In 16 der Basisgemeinden jedenfalls wächst die Verbitterung - der Konflikt in der ungarischen Kirche geht weiter.
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