: Paul Newman als Patenonkel
Sparschweinerei: ZDF stellt das innovative Kleine Fernsehspiel zur Disposition ■ Von Manfred Riepe
„Ich bin die beste Chance, die Ihr je hattet“, sagt Mel Gibson in George Millers „Mad Max II“ zum Anführer der letzten zivilisierten Menschen. Das könnte ebensogut Eckart Stein zum ZDF-Intendanten Dieter Stolte sagen. Hinsichtlich der schleichenden Popularisierung der Öffentlich-Rechtlichen als Reaktion auf das Privat-TV bietet das Kleine Fernsehspiel (neben „Debüt im Dritten“ und „Der Dokumentarfilm“) nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten zur Vitalisierung des Programms von Innen. In der cinephilen französischen Presse spricht man daher nur von: „Le Model Eckart Stein“. Das klingt ehrfürchtiger als die hierzulande gültige Sprachregelung: Das Kleine Fernsehspiel.
Eckart Stein, Miterfinder der Themanabende in arte und seit 1974 Chef des Kleinen Fernsehspiels, droht das Schicksal, Prophet im eigenen Lande zu sein. Die europaweit einzigartige Kreativ- Werkstatt wurde in London, San Francisco, Tokio, Paris, Cannes und vor kurzem in Rotterdam mit Retrospektiven geehrt. Am 18. März wird in Marl wieder einmal ein Kleines Fernsehspiel mit dem Adolf-Grimme-Preis gekürt. Nichts Außergewöhnliches, denn Grimme-Jahre ohne das Kleine Fernsehspiel gibt es nur wenige. Nichtsdestotrotz denken die Mainzer bereits seit 1989 halblaut und seit neuestem immer lauter darüber nach, die wöchentliche Ausstrahlung auf einen vierwöchentlichen Termin zurückzudrehen. Oder gar ins Exil auf 3sat oder arte zu verbannen. Weil das ZDF bis zum Ende der Gebührenperiode 1996 satte 600 Millionen Mark einsparen will, droht dem Kleinen Fernsehspiel möglicherweise der Anfang vom Ende.
Es stehe ganz oder teilweise zur Disposition, teilte der Intendant den Nachrichtenagenturen mit. Ebenfalls auf der Abmagerungsliste: Die Kindernachrichten „Logo“ und Theateraufzeichnungen. Angesichts des Gebührenurteils des Bundesverfassungsgerichts, das den Öffentlich-Rechtlichen perspektivisch Luft verschafft, wären dies geradezu obszöne Streichungen. Entscheiden will der Fernsehrat des ZDF am Freitag nächster Woche.
Ein „Bellheim“ ist doppelt so teuer
„Das mache ich nicht mit“, erklärt Eckart Stein entschlossen, der mit lumpigen neun Millionen Mark jährlich an die 40 Low-Budget- Produktionen aus dem Hut zaubert (ein „Bellheim“ allein kostet das Doppelte). Zwar sind die Einschaltquoten des Kleinen Fernsehspiels zur mitternächtlichen Stunde bisweilen nicht einmal mehr meßbar. Aber nicht umsonst hat die Produktionsweise des Kleinen Fernsehspiels für den erfolgreichen englischen Privatsender Channel 4 Vorbildfunktion ausgeübt. Das Kleine Fernsehspiel ist unverzichtbar, weil es die Logik des reinen Quotendenkens sprengt.
Herbert Achternbusch, Theo Angelopoulus, Hark Bohm, Thomas Brasch, Rainer Werner Fassbinder, Jean Luc Godard, Derek Jarman oder Jim Jarmusch haben Kleine Fernsehspiele im großen Stil gedreht. Doch mit der Nennung prominenter Namen allein wird man der Institution nicht gerecht. Die Erneuerungen, die von dort ausgehen, geschehen gleichsam unterirdisch und sind deswegen leicht zu übersehen. Talente aus den Reihen des Kleinen Fernsehspiels treten nicht sofort ins Rampenlicht. Zudem befinden sich unter den knapp 2.000 Filmen, die die Redaktion seit ihrer Gründung 1962 produzierte, nicht wenige Schlaftabletten und avantgardistische Totgeburten. Aber das entspricht der Natur der Sache. Als strukturnotwendiges Korrektiv ist es dem Kleinen Fernsehspiel eine Pflicht, jungen Kreativkräften eine Chance zu geben, die betriebsblinde Redakteure des großen Fernsehspiels sofort wieder zurück in die Wüste schicken würden. Experimentieren ist deswegen unabdingbar. Erfolge lassen sich nicht programmieren, das Aufspüren von Innovativem birgt das Moment des Zufalls.
„Die eigene Handschrift wird von uns höher bewertet als die Schönschrift“, sagt Stein. Seinen Status im Sender mißt er an dem der Forschung in der Autoindustrie: „Wenn BMW in der Krise steckt, werden die als letztes ihre Entwicklungsabteilung schließen“. Deswegen, so Stein, „stärken wir die Risikobereitschaft, verteidigen wir das Recht auf Irrtum gegenüber Rechthabern: Um ein Kleines Fernsehspiel machen zu dürfen, muß man nicht schon eins gemacht haben“. Nicht wenige, die eins gemacht haben, arbeiten inzwischen am Erfolg der Öffentlich Rechtlichen. Renommierte Serien-Regisseure wie Werner Masten (Liebling Kreuzberg“) sind beim Kleinen Fernsehspiel ins Trainingslager gegangen. Auch der Luxemburger Andy Bausch, neben Gert Steinheimer eine der wenigen Hoffnungen im maroden Genre des Fernsehfilms, kommen von dort.
Kleines Fernsehspiel wohin? Mit Nibelungentreue ist es nicht getan. Umdenken mit Augemaß ist in der neun Personen starken Redaktion (vier Feste, fünf Freie) angesagt. Daß in der redaktionsinternen Top-und-Flop-Liste im vergangenen Jahr zum Beispiel die herrliche Komödie „Männer auf Rädern“ nicht einmal erwähnt wurde, ist bezeichnend für den korrekturbedürftigen Kurs. Eine konzeptionelle Öffnung hin zu populäreren Genres brächte frischen Wind. Mit der Erfindung neuer Sendeformate wie „Schicksal der Woche“ (Fünf-Minuten-Kurzkrimis) ist ein erster Schritt getan. Den zweiten muß der Sender tun. Erfolgreiches aus der Telewerkstatt gehört verstärkt in die Prime- Time, wo zur Zeit das Seniorenfernsehen boomt. Nicht zufällig liegt das Durchschnittsalter des ZDF-Zuschauers über dem der ARD. Zweifellos existiert dagegen ein jüngeres, kulturinteressiertes Publikum, das die Nase voll hat von Ilona Christen, Hans Meiser und den x-mal wiederholten Billigfilmen auf Sat.1, Pro 7 und RTL.
Allein, die geeignete Ansprache fehlt, um dieses Publikum für das Kleine Fernsehspiel neu zu begeistern. Eine zeitgemäße Imagekorrektur ohne Preisgabe des Niveaus tut not.
Einen Teil der Schuld am Ghettodasein des Kleinen Fernsehspiels geht aufs Konto der Ignoranz seitens der Programmpresse. Die Klaviatur der Sensations-Publizistik ist ein Instrument, auf dem Eckart Stein bislang nicht spielte. In die Enge getrieben, denkt er nun über bunte Töne nach: „Ich habe Thomas Gottschalk unsere Broschüre geschickt. Paul Newman wäre bereit, die Patenschaft für eine Sendung zu übernehmen“. Daß das Kleine Fernsehspiel wenigstens einen Teil seiner Kunstprodukte ebenso spritzig verkauft wie das WDR-Magazin „Zak“ die Politik, ist durchaus denkbar. Ein Trailer nach der „heute“-Sendung wäre das mindeste, um zu signalisieren: Das Kleine Fernsehspiel ist nicht so klein, wie es sich anhört.
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