: Paternalistische Linke
■ »Die geheime Nation« im Regenbogenkino
Sebastian Mamani wurde vor Jahren wegen eines Betrugs aus seinem Heimatdorf im bolivianischen Hochland verstoßen und lebt seitdem in der Hauptstadt La Paz. Er beschließt, zu seinem Volk, den Aymaras, zurückzukehren und gemäß einer alten Tradition um Vergebung zu bitten, indem er sich in einem rituellen Tanz zu Tode tanzt.
Auf seinem Rückweg ins Altiplano erinnert sich Mamani: an den Grund seines Verstoßen-Werdens, an seine Frau, die im Dorf blieb, an seinen Alkoholismus in der Großstadt, an seine »Arbeit«, die er zeitweilig in der bolivianischen Geheimpolizei verrichtete...
Diese Rückblenden folgen keiner Chronologie. Sie führen den europäischen Zuschauer in eine Kultur, die er nicht versteht, obwohl er sich das oft glauben machen will. Ähnlich geht es einem weißhäutigen Revolutionär, dem Mamani auf seinem Weg durch die Anden begegnet. Er bittet zwei Indios um Hilfe, die den Fliehenden jedoch nur stumm ansehen. Der Revolutionär wird von den ihn verfolgenden Militärs erschossen — für Regisseur Jorge Sanjinés Sinnbild einer »paternalistischen Linken, die mit den Campesinos nicht kommunizieren kann, weil sie ihre Sprache nicht beherrscht«. Die Indios antworten dieser Linken mit einem allgemeinen Unwillen Weißen gegenüber: »Es ist durchaus möglich, daß sie ihn verstehen, aber sie wollen ihn nicht verstehen.«
La Nacion Clandestina ist kein reiner Klassenkampffilm, im Gegensatz zu früheren Produktionen von Sanjinés. Am Schluß des Films kommt es zu einer Begegnung zwischen Minenarbeitern, die, geschlagen von einem Streik, zurückkehren, und Mamani, der den Todestanz tanzt. Man findet keine gemeinsame Sprache mehr. »Politische Vorschläge von außen« geraten in Konflikt mit der Tradition der Aymaras. Zu dieser Tradition gehörte Sanjinés zufolge eine kulturelle Identität, die zwar die äußeren Formen, nicht aber die Inhalte ihrer jeweiligen Beherrscher annahm. Daraus erklärt sich der Titel des Films: Als »geheime Nation« konnten die Aymaras »leben und überleben, indem sie ihren Herrschern glauben machten, daß sie ideologisch erobert worden wären«.
Die Gruppe Ukamau, die diesen Film produziert hat, arbeitet seit 1966 an Filmen über das Leben der bolivianischen Indios. Dazu gehören auch Kinovorführungen auf dem Altiplano und die filmtechnische Ausbildung der Landbevölkerung mit dem Ziel, langfristig ein eigenes Kino der Aymaras zu etablieren. La Nacion Clandestina entstand in Zusammenarbeit mit Angehörigen der Aymaras und ist insofern ein erster Schritt in diese Richtung. Hans Haus
»La Nacion Clandestina« — Die geheime Nation, Bolivien 1989 (OmU), 29.11.-2.12., jeweils um 23 Uhr im Regenbogenkino.
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